Der Mann von Nebenan
Punkt wieder aufgekommen. Sie sah die Dinge aus einer neuen Perspektive. Das Leben war nicht mehr unklar, bedrohlich und verwirrend. Alles hatte sich in seine natürliche Ordnung gefügt: Wichtiges, Unwichtiges, Schönes und weniger Schönes.
Eine unheimliche Ruhe breitete sich in Kate aus und die Gewißheit, daß sie von nun an keine Kompromisse mehr eingehen würde. Daß sie nicht mehr »ja« sagen würde, wenn sie »nein« meinte. Daß sie sich nicht mehr zum Opfer machen lassen würde. Zum Opfer falschen Ehrgeizes, fremder Träume oder fremder Obsessionen. Daß sie zurückschlagen würde, wenn irgend jemand versuchen sollte, ihr oder ihrem Sohn etwas zuleide zu tun.
Kommissar Lander hatte noch in der Brandnacht mit seinen Ermittlungen begonnen. Längst hatte er durch seine eindringliche Art der Befragung herausgefunden, welches Beziehungsnetz die Personen rund um den Ort des Geschehens verband. Nur mit Kate hatte er noch nicht gesprochen; er wollte ihr die Chance geben, sich von dem Schock und der Angst um ihr Kind zu erholen.
Jetzt, einige Tage nach dem Feuer, war er gekommen, um sie zu vernehmen.
»Ja, bitte?« Kate sah den unerwarteten Besucher einen Moment lang überrascht an. »Was machen Sie denn hier? Ich dachte, Sie sind bei der Mordkommission?«
»Die Wege eines Kommissars sind eben unergründlich.«
Kate lächelte. »Ich wollte eigentlich gerade …«, begann sie, wurde aber unterbrochen.
»Ich weiß, Sie sind auf dem Weg zu Samuel. Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Wie geht’s ihm?« fragte der Kommissar freundlich.
»Den Umständen entsprechend«, antwortete Kate knapp, freute sich aber über seine Anteilnahme. Sie wies ihm den Weg in die Küche.
»Also, Frau Moor, wo waren Sie, als das Feuer ausbrach?« begann Lander förmlich, nachdem sie am Tisch Platz genommen hatten.
»Auf dem Weg nach Hause. Ich war ein paar Tage verreist gewesen.«
»Sind Sie oft verreist?«
Kate lachte bitter auf. »Nein, das war tatsächlich das erste Mal in all den Jahren, daß ich Samuel allein gelassen habe. Und gleich passiert so etwas …«
»Wer hat auf Ihren Sohn aufgepaßt?«
»Er war bei meiner Nachbarin untergebracht.«
»Bei Marie-Luise Hutter?«
»Genau.«
»Was für ein Verhältnis haben Sie zu Frau Hutter?«
Die Frage irritierte Kate. »Ein gutes, sonst hätte ich ihr ja wohl kaum mein Kind anvertraut.«
»Sie sind also nicht der Meinung, Frau Hutter habe in der fraglichen Nacht ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt?«
»Aber nein, es war doch nicht ihre Schuld«, widersprach Kate heftig. »Die Jungen haben sich heimlich in das Versteck unterm Schuppendach geschlichen. Das hätte ebenso passieren können, wenn ich dagewesen wäre.«
»Was haben die Kinder dort oben üblicherweise gemacht?« wollte der Kommissar wissen.
»Was weiß ich – geredet, Musik gehört, Gameboy gespielt …«
»… geraucht?« unterbrach er sie.
»Geraucht? Nicht, daß ich wüßte. Wie kommen Sie darauf?« fragte Kate erstaunt.
»Nun, es sind rund um den Schuppen zahlreiche Zigarillokippen gefunden worden. Sie selbst rauchen meines Wissens nicht. Woher also kommen die Kippen?«
Kate überlegte.
»Malise raucht diese Dinger, und natürlich wäre es möglich, daß Simon ihr mal welche geklaut hat. Aber das hätte ich doch gerochen, wenn da oben geraucht worden wäre.«
»Woher also die Kippen?« wiederholte er seine Frage.
»Kann ich mir nicht erklären. Gerade wenn die Jungen heimlich geraucht hätten, hätten sie die Kippen doch bestimmt nicht rumliegen lassen. Und Malise würde sie auch nicht einfach bei mir ins Gras schmeißen.«
»Es könnte also sein, daß die Kippen dort extra hingelegt worden sind?« schlußfolgerte Lander.
Kate sah ihn überrascht an. »Wer hätte so was tun sollen?«
»Jemand, der von einer anderen Brandursache ablenken möchte, zum Beispiel.«
Er dachte es also auch. Natürlich war Kates erster Gedanke gewesen, Mattuschek könnte die Werkstatt angezündet haben. Aber sie hätte nicht gewagt, diesen Verdacht auszusprechen.
»Das müssen Sie mir erklären«, sagte Kate vorsichtig.
»Haben Sie nicht einen Nachbarn, mit dem Sie im Clinch liegen? Wollte er nicht sogar erreichen, daß der Schuppen abgerissen wird?«
Kate nickte aufgeregt.
»Sehen Sie? Vielleicht war’s ja der.« Prüfend betrachtete Lander sein Gegenüber.
»Glauben Sie das wirklich?« Kate lachte unsicher.
»Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, daß ein Mensch so was Gemeines tut.«
Lukas Lander
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