Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann von Nebenan

Der Mann von Nebenan

Titel: Der Mann von Nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
Vom Netzwerk:
brach ab.
    Kate verstand sofort. »… weil dein Streich von neulich aufgeflogen ist und sie gedacht haben, es ist wieder nur ein Scherz.«
    Malise nickte unter Tränen. »Als ich sie endlich überzeugt hatte, bin ich gleich rübergelaufen zum Schuppen, weil ich sehen wollte, ob ich etwas von deinem Werkzeug retten könnte. Da kam mir Simon entgegen. Er war aus dem Dachfenster gesprungen und rief mir zu, daß er Samuel nicht wach gekriegt habe; er war wohl durch den Rauch schon ohnmächtig. Ich habe nach einer Leiter gesucht und … die Scheiß-Feuerwehr kam und kam nicht … und … jedenfalls … irgendwann hatte ich endlich die verdammte Leiter, ich bin hoch und habe Samuel rausgezogen … O Gott, Kate, es tut mir so leid! Er hätte sterben können, und ich wäre schuld gewesen!«
    Malise sank in sich zusammen. Kate nahm sie in den Arm.
    »Aber er ist nicht gestorben. Und es ist nicht deine Schuld«, flüsterte sie unter Tränen.
    Die Tür öffnete sich, ein Arzt mit einer Schwester im Schlepptau rauschte herein.
    »Sind Sie wohlauf?« Er sah Kate prüfend an.
    »Mir geht’s gut«, sagte Kate ungeduldig. »Was ist mit meinem Sohn?«
    »Er kommt durch. Die Verbrennungen sind zum Glück weniger dramatisch als befürchtet. Aber die Rauchvergiftung … Wenn diese Dame«, er zeigte auf Malise, »nicht so beherzt reagiert hätte, wäre Ihr Junge jetzt tot.«
    Malise vergrub das Gesicht in den Händen. Ihr Körper bebte. Kate griff nach ihrer Hand.
    »Wann kann ich zu Samuel, Herr Doktor?« fragte sie flehend.
    »Er schläft jetzt. Halten Sie’s aus bis morgen?«
    Kate schluckte. »Wenn’s sein muß. Aber ich bleibe heute nacht hier. Bitte rufen Sie mich, wenn er mich braucht!«
    Die Schwester ging um das Bett herum zu Malise.
    »Wollen Sie sich ein bißchen hinlegen?« fragte sie sanft und schob Malise, ohne eine Antwort abzuwarten, zur Tür.
    »Und was machen wir mit Ihnen?« fragte der Arzt und sah Kate besorgt an. »Ihre Freundin hat erzählt, daß Sie häufiger in Ohnmacht fallen.«
    Kate machte eine wegwerfende Bewegung.
    »Das ist nicht so wild. Ich habe ein kleines Problem mit der Pumpe, deshalb sackt mein Blutdruck in Schrecksituationen gerne ab.«
    Der Arzt musterte sie aufmerksam, dann sagte er: »Das könnte eine Erklärung sein, aber es gibt Fälle, in denen psychische Ursachen eine Rolle spielen.«
    »Sie meinen, ich simuliere?« fragte Kate empört.
    »Nein, das meine ich nicht.« Ihr Gegenüber lächelte.
    »Sie fallen tatsächlich in Ohnmacht. Es könnte eine Art Schutzreflex Ihres Bewußtseins sein. Sie entfernen sich aus der für Sie bedrohlichen Situation. Die Frage ist nur, ob Sie dadurch nicht irgendwann ich eine noch gefährlichere Lage kommen. Wenn Ihnen das am Steuer passiert, zum Beispiel.«
    Kate wurde nachdenklich. Dann sagte sie: »Ich habe nicht das Gefühl, daß ich darauf irgendeinen Einfluß habe. Es geschieht einfach.«
    »Vielleicht lassen Sie es geschehen. Denken Sie mal drüber nach.« Er lächelte wieder. »Oder Sie schaffen es, zukünftig ein Leben ohne jede Aufregung zu führen!«
    »Ich glaube nicht, daß ich das schaffe«, gab Kate seufzend zurück.
     
    In der Angelegenheit Mattuschek gegen Moor wegen Lärmbelästigung war folgender Beschluß ergangen: »Die Geräuschentwicklung durch den Flötenunterricht überschreitet das übliche Maß an erlaubter musikalischer Betätigung. Der Antragsgegnerin sind deshalb folgende Zeitbeschränkungen aufzuerlegen: Das Flötenspiel ist gestattet Montag bis Freitag neun bis zwölf Uhr. An Samstagen, Sonn- und Feiertagen ist der Musikschulbetrieb nicht gestattet.«
    Da Kate die Schulkinder nur nachmittags unterrichten konnte, war sie damit nach dem Verlust ihrer Werkstatt auch ihre letzte Einkommensquelle los. Komischerweise löste diese Erkenntnis keine Panik, keine Angst, keine Wut in ihr aus. Irgend etwas in ihr ließ den Gedanken nicht völlig bis in ihr Bewußtsein dringen. Sie lebte in einem tranceartigen Zustand, scheinbar losgelöst von den Realitäten des Alltags, ihre Energien auf einen einzigen Punkt fokussiert: die Genesung von Samuel.
    Täglich verbrachte sie viele Stunden an seinem Bett. Sie sprach mit ihm, las ihm vor, spielte mit ihm, soweit seine Kräfte es zuließen, oder betrachtete ihn einfach nur im Schlaf. Alles andere verblaßte neben der Tatsache, daß sie fast ihr Kind verloren hätte.
    Es schien Kate, als wäre sie durch das Unglück herauskatapultiert worden aus ihrem bisherigen Leben und an einem völlig anderen

Weitere Kostenlose Bücher