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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
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Rudolph wissen. Wenn man seine Kindheit in einem Gasthof in Traunstein mit so einem Vater und solchen Tassen zugebracht hatte - musste man sich danach nicht befreien? Und warum sollte so ein Kind später nicht, ähnlich dem Vater, aus seinen Schuhen Dutschkeschuhe machen, Revolutionsschuhe?
    Ob es das Baden mit Dutschke gegeben hatte, das könnte er, dachte Paul, sicherlich recherchieren. Immerhin kannte er die »Lila Eule« aus Erzählungen, seine Eltern hatten sich dort kennengelernt: Ulrich Wendland kam zu seiner eigenen Ausstellung nach Bremen und feierte in der »Lila Eule«. Johanna Kück war fast jeden Abend da. Sie kannte alle Türsteher, Pianisten und Barmänner, und als sie dort Ulrich Wendland traf, blieb sie die ganze Nacht. Sie frühstückten noch zusammen im Hotel und am Vormittag fuhr Johanna mit dem Moor-Express zurück.
    Schade, dass er seine Mutter aus dieser Zeit nicht googeln konnte. Er hätte sie gerne einmal mit einem fremden Blick betrachtet, so wie ein Mann einer Frau im Netz nachgeht und sie anklickt. Das einzige Foto, das es von seiner Mutter im Netz gab, war ein Bild, wie sie mit der Familientherapeutin Virginia Satir vor ihrem Seminarhaus in Las Brenas stand: blond gefärbte lange Haare, sonnendurchfurchte Gesichtshaut, das Kleid aus mehreren, teils transparenten Lagen Stoff.
    Wo war Nullkück? Paul lief aus der Küche und in dessen Zimmer. Das alte Nordmende-Gerät war angeschaltet, auch der Computer lief, nur Nullkück war verschwunden. Paul sah ein kleines Bild einer Frau im Bikini auf dem Bildschirm, setzte sich an den Computer und las.
     
    Liebe naschkatze49,
    heute sehe ich Dein neues Foto und gestern war ich noch in Venedig, der Stadt der Liebe. Man muss bei ihr eine neue Pfahlgründung durchführen oder sie wird bald untergehen. Ich fuhr eine Gondel auf dem Canal Grande und stand auf dem Heck mit Riemen und Ruder. Eine Gondel ist 10 Meter lang und 500 Kilo schwer und von der Rialtobrücke winkte eine Frau mit flatternder Schleife am Hut, doch ich konnte nicht halten.
     
    Freekück
     
    Darunter stand: »Gesendet an naschkatze49,9 Uhr 05.« Das war vor zehn Minuten gewesen. Paul drückte auf »Eingang«, »Empfangene Nachrichten«:
     
    Schade, dass es von dir kein Foto mit den Pyramiden gibt. Schade, dass es überhaupt nie Fotos von dir gibt. Ich frage mich auch, warum du bei landflirt bist, wenn du mir aus Bangkok schreibst. Trifft man da nicht viele Frauen?
    Tinchen55
    Paul drückte auf »Gesendete Antwort, 8 Uhr 22«:
    Liebes Tinchen55,
    ich treffe überall Frauen, wenn ich auf Reisen bin, und nie werde ich den Blick einer Russin vergessen, die mir in Sibirien bei Schnee und Eis begegnete. Es war wie ein Feuer, doch ich wollte die Hunde vor meinem Schlitten nicht stoppen.
     
    PS: Ich bin hier bei landflirt, weil ich am liebsten auf dem Lande lebe. Freekück
    Empfangene Nachricht, 8 Uhr 25:
    Im Prinzip suche ich einen Mann, der bei seinem Hof bleibt und die Kühe melkt. Was macht man als Künstler den ganzen Tag?
    Gesendete Antwort, 8 Uhr 36:
    Liebes Tinchen55,
    ich melke auch. Ich habe viele Kühe und kann in meinem Leben alles gut verbinden. Kennst Du die Scorpions? Die muss ich nun in Bronze gießen. Es sind sechs. Freekück
     
    Empfangene Nachricht, 8 Uhr 38:
     
    Wie viele Kühe denn? Melkst du manuell? Du musst keine modernen Melksysteme haben. Ich bin eine bodenständige Frau und will einen Mann ohne Hick und Hack. Zerbricht die Ehe, kann das den Ruin des Hofes bedeuten. Magst du Nordic Walking?
     
    Gesendete Antwort, 8 Uhr 48:
     
    Liebes Tinchen55,
    am liebsten bin ich auf meinem Hof und mag an den Frauen aus dem Norden die Bodenständigkeit und Stille. Man muss nur unter den Bodenständigen und Stillen die Richtige finden. Es ist schön, wenn man Hand in Hand stumm über Felder laufen kann. Gern auch Nordic Walking.
     
    PS: Ob ich es nach Bangkok noch nach Neudorf-Hüttendorf schaffe, weiß der Himmel. Freekück
     
    Früher musste Nullkück die Briefe an Rieke, Sine, Tille, Else, Wenke oder Adeline vom Trecker abwerfen, jetzt hatte er das Internet. Auch mit dem Internet konnte er wie mit dem Trecker ganz dicht heranfahren, einen Brief abwerfen, ohne sich in seiner Mangelhaftigkeit zu stellen, dachte Paul. Allerdings war er nun ein bekannter Bildhauer geworden.
     
    Freekück bekam gerade eine Nachricht von der nasch-katze49:
     
    War sie hübsch? Jeder Mann hätte doch gefragt, ob sie in der Gondel mitfahren will. Warum geht die Stadt der Liebe unter? Kennst du

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