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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
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so geiht dat nich!« auf den herzschonenden Kaffee oder vielleicht doch auf die vor fünf Minuten gestellte Frage bezogen hatte, ob denn so weit alles in Ordnung sei.
    Nullkück machte unter dem Schirm einen kleinen Ausfallschritt und trat einen Maulwurfshügel kaputt. Meist nahm er dafür einen Wasserschlauch und schlämmte die Hügel mit einem starken Strahl ein oder er bekämpfte und vertrieb die Maulwürfe, wie der Großvater, der es nicht hatte ertragen können, wenn diese Viecher mit ihren Rüsseln den gesamten Garten neben seinen Kunstwerken auftürmten. Die Maulwürfe hoben nicht nur den Garten aus und schoben Hügel für Hügel neben die Skulpturen, sondern sie gruben sich auch unter die historischen Werke: Ganze Tunnel und unterirdische Gang- und Schachtsysteme verliefen unter Bismarck, Luther und Konsorten hindurch, was sie noch schneller im Moor versinken ließ. Nullkück wendete dagegen Holunder und Knoblauchbrühe an, die er auf die Haufen träufelte, das störte die empfindlichen Nasen der Maulwürfe. Sie hatten zudem empfindliche Ohren, sodass Nullkück Holzpfähle in die Hügel steckte und die Maulwürfe mit Klopfzeichen nervte, wenn sie nachmittags schlafen wollten, weil in der Regel nachts gegraben wurde.
    »Also, sogar Willy Brandt, der große Sozialdemokrat, hat sich 1973 in diesem Garten aufgehalten«, sagte Paul, um das absolut schleppende Gespräch in Gang zu halten.
    »Sehen Sie, da steht er neben meiner Großmutter. Sie hat ein Stück Butterkuchen aufgehoben, das er nur zur Hälfte aufessen konnte, weil er schnell weitermusste nach Bonn wegen dieser Spionagesache.« Paul wollte verdeutlichen, dass es sich hier um einen historischen Garten handelte mit einem Haus, welches man schon aus Gründen der Heimatgeschichte oder einer noch größeren Geschichte zu retten verpflichtet wäre mit allen Mitteln.
    Man schwieg so vor sich hin.
    »Stellen Sie sich vor, Herr Brüning, Kück ist zum Künstler des Jahrhunderts ausgerufen worden. Letztes Jahr war Rilke, jetzt ist mein Großvater dran.« Schweigen.
    »Mögen Sie Rilke? Das ist der da! Links neben Rühmann, gegenüber von Ringo Starr. Ich glaube, mein Großvater war von dem genervt, wegen dem Topf, wir besitzen einen Topf von Rilke, den hat meine Großmutter ständig poliert. Vielleicht nervte ihn auch das ständige Blätterfallen, bei uns wurden auch das ganze Jahr über Blätterfall-Gedichte aufgesagt, wie war das noch? Die Blätter fallen, fallen wie von weit / als welkten in den Himmeln ferne Gärten ...«
    »Dat helpt nix!«, erklärte Brüning völlig unerwartet. »Erdbohrers sünd swoor Gerät! De versackt mi in'n Schluh!«, in Worpswede sagte man »im Schluh«, »Schluh« hieß Sumpf.
    »Kiek maal!« Er steckte mit einem Ruck die Lanze in den Schluh, die ungefähr vier Meter versank. »Düvel! Dat mutt mit Pahlen grünnt warrn! Eerst de Grippen, achteran denn mit Pahlen grünnen!«
    Paul sah Brüning an, dann Nullkück, der anscheinend auch keine Ahnung hatte.
    »Wie bitte?«, grünnen kannte er immerhin von seinem Großvater, der oft vom Grünnen der Familie oder vom Existenzgrünnen gesprochen hatte. »Was wollen Sie genau gründen?«, fragte Paul höflich.
    »Pfähle! Aber erst brauch ich Grippen!«, übersetzte sich Brüning freundlicherweise selbst.
    »Gut«, sagte Paul leicht nervös, »wie kriegen Sie die, diese Grippen?«
    »Vun jede Huuswand Grippen bet na den deepsten Punkt!«
    »Gräben, Gräben«, rief Nullkück und tippte dabei Paul auf die Schulter.
    »Danke, danke«, sagte Paul und merkte, dass die Sache anfing, ihn zu überfordern.
    »Was kostet das denn?« fragte er Brüning, der daraufhin abschätzend mit dem Kopf nickte.
    »Tweehunnert Bohrlöcker. Dach afstütten. Denn Butenwannen weg. Un wo de Wannen weg sünd, dor denn bohren. Beton rin un fardig is!«
    »Aha«, sagte Paul, »Sie meinen also: Beton rein und fertig! Aber was, Herr Brüning, was wird es kosten?«
    Brüning zupfte an seiner dunkelblauen Mütze. »Wenn man nich wie die Menschen von hier auf einer Wurte baut, kostet das später was. Eine nachträgliche Pfahlgründung kostet was«, erklärte der Mann mit der Mütze, der ausgerechnet bei den Kosten immer hochdeutscher wurde.
    »Bei den Grippen helfen er und ich mit«, sagte Paul und hielt Nullkück am Arm. »Wir können auch andere Jobs übernehmen. Wir müssen nämlich auf die Kosten achten, Herr Brüning!«
    Die Hälfte der Kosten für diese Pfahlgründung, hatte seine Mutter gesagt, sollte er vom Geld aus

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