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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
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Haar, wie das schöne Haupt von Konstantinopel! Leningrad!«, Mackensen vergaß bei Marie sogar, dass er strenger Nationalist war, und wurde auch mit seinen Vergleichen immer üppiger: »Goldkuppeln mit Spitzen! Ich werde mir ein spezielles Gelb aus Indien kommen lassen, gewonnen aus dem Harn von Kühen, die man vorher mit Mangoblättern füttert!«, erklärte er und grüßte Ferdinand Stolte, der ihm schon die Tür öffnete, während die Kückfrauen im Hintergrund zu Steinsäulen erstarrten, als seien sie eine neue Anschaffung auf Stoltes Findlingstreppe.
    Greta berichtete ihrem Mann über das Auftreten des Herrn Mackensen und dass er sie gleich mit ablehnte, obwohl sie sich überhaupt nicht angeboten hatte. Nein, er würde nur Marie wollen, die angeblich schöne Kuppeln hätte mit Spitzen, am liebsten würde er sie mit dem da unten malen!
    »Mit was?«, fragte ihr Mann nach.
    »Mit den Hoden! Sack! Glied! Penis! «, schrie Greta - und so etwas ehrwürdigen Frauen wie ihr und Hilde auf einer öffentlichen Treppe zum Kaufhaus an den Kopf zu werfen, eine Zumutung, dieser geile Kolonievater mit seinem Marie-Gerede! »Immer nur Marie, Marie, die Frau deines Bruders, eines unbegabten Bauern, den wir in unserem Haus nur dulden, weil die Zeiten so schwer sind! Und wie die in letzter Zeit durchs Dorf läuft! Im roten Röckchen, halb nackt!«, schimpfte sie.
    Ihr Mann sah dabei aus dem Atelierfenster, wie Marie vor der Scheune Obst in Körbe füllte.
    Wieso hatte er das nie bemerkt, fragte er sich, dieser Körper, dieser Hintern? Und jetzt kam dieser Bock von Mackensen und vergriff sich an seinen Kücks? Künstlerisch und wie noch? Das ist meine Kückfrau!, dachte er.
    »Paul«, sagte Greta und zog mit einem Ruck die neu angebrachte Jalousie herunter, die eifersüchtige Männer einst im Orient erfunden hatten, um ihre Frauen vor den Blicken der Welt abzuschirmen. Es war aber möglich, von innen durch so eine Jalousie hinauszusehen und auch bei dem Blöcker-Fabrikat aus Bremen, das Paul Kück erworben hatte, damit er zuweilen ungestört arbeiten konnte, sah er jene Frau, die sich gerade mit Äpfeln über die Weidenkörbe beugte, in schönster Deutlichkeit.
    »Paul!«, wiederholte Greta, zog am Ärmel ihres Mannes und sagte: »Morgen wirst du damit beginnen, die lebensgroße Skulptur von Greta Kück zu erschaffen!«
    Während also Hilde kurz davor war, wieder zum Messer zu greifen, um sich auch noch die zweite Brust zu zerschneiden, stand Greta Kück vor ihrem Mann und forderte eine dreidimensionale Plastik der stolzen Künstlergattin. Paul Kück willigte ein und vertagte die Arbeit auf unbestimmte Zeit.
    Zwei Tage nach der Szene im Atelier ließ er sich von Marie Äpfel bringen, auch um ihr mitzuteilen, dass er ebenfalls entschlossen sei, sie als Modell zu nutzen, aber - so der Plan - besser, ergreifender und sogar unverhüllter, als es Mackensen, der senile Großmaler, je auf die Leinwand zu bringen imstande sein würde.
    »Für die Skulptur einer Frau benötige ich Ruhe, da können wir keine Familie gebrauchen«, sagte er und sah durch die Jalousie in den Garten, ob von irgendwoher Greta anrückte. »Wir gehen in die Scheune. Trage das rote Kleid. Ich bereite alles vor.«
    Marie stand mit dem Obstteller da und konnte sich kaum vorstellen, dass von ihrem kleinen Leben einmal so viel bleiben würde. Ihr Bild, gemalt vom Gründer der Kolonie, und dann sollte es sie auch noch als Bronzemenschen geben, so wie diesen Schlachtenlenker im Garten oder den Mann, der Troja ausgegraben hatte.
     
     
    Frühjahr 1944 in der alten Scheune: Paul Kück und sein Modell Marie
     
    Den Ton trug er unter feuchten Tüchern unauffällig in die Scheune, ebenso seinen großen Atelierscheinwerfer, sonst wäre es zu dunkel. Die fertigen Tonmodelle, die hier zum Austrocknen standen, rückte er vorsichtig zur Seite. Marie klopfte.
    Paul Kück öffnete die Tür und schloss sie von innen ab. Er schob eine der Schnapskisten von Johan und Hinrich ins Licht und deutete Marie an, sich auf die Kiste zu stellen in ihrem Kleid.
    »Am Anfang steht der plastische Entwurf«, erklärte er und stellte den Scheinwerfer ein, um Marie von oben bis unten zu beleuchten. »Wie alle Bildhauer zuvor, wie Michelangelo, wie Rodin, so fertige auch ich eine Tonskizze an. Wir nennen es Bozzetto, das ist italienisch und bedeutet Entwurf, Modell, auch Makette genannt. Ist dir warm genug?« Marie nickte mit dem Kopf.
    »Rodin bevorzugte wie ich den weichen Ton, mit dem wir die

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