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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
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Zähneputzen.
    Der Kostenvoranschlag (Kostenvöranslag), den Tille Brüning im Auftrag ihres Mannes gemailt hatte, sah als Erstes die Einrichtung der Baustelle vor:
     
    Posten 1: Entwässerung Garten (Abzugsgrippen) Reiner Arbeitslohn / 1.550 - Euro
     
    Er starrte auf sein Handy, das neben dem Zahnputzbecher lag. Keine Antwort aus Barcelona.
     
    Posten 2: 68 Betonpfähle setzen (44 auf Längsseiten, 24 auf Giebelseiten) Bis 4-10 Meter Gründungstiefe / 15.700.-Euro
     
    15.700?! Er stoppte mit den Putzbewegungen.
    Nullkück klopfte an die Badezimmerscheibe und hob die Stechschippe in die Höhe, winkte und lächelte.
    Paul grüßte mit der Zahnbürste und kalkulierte, dass sich mit Nullkück und ihm der Posten 1 vielleicht reduzieren ließe, wenn sie richtig anpacken und mitschaufeln würden.
    Aber Posten 2? Wieso konnten 4 bis 10 Meter lange Betonpfähle so teuer sein? 15.700 Euro?!
    Er sah wieder auf das Handy. Felipe fiel ihm ein. Dieser Felipe. Er hatte Christina vorgeschlagen, dass sie irgendetwas ins Genom von Fliegen installieren könnten. Er mit ihr. Zusammen!
    Nullkück klopfte wieder.
    Paul machte das Badezimmerfenster auf: »Mensch, ich komm ja gleich, ich putze mir gerade die Zähne! Spann doch so lange Luther nach!«
    Nullkück reichte ihm ein rund geformtes Stück Metall durch das Fenster. Es war ganz schwarz, verkrustet.
    »Was ist das?«, fragte Paul.
    »Graben, Graben«, antwortete Nullkück und lief zurück in den Garten.
    Paul hielt das Stück unter den Wasserhahn. Er kratzte mit dem Fingernagel, bis er etwas Helles durchschimmern sah. Es könnte ein Schmuckstück sein, dachte er und legte es auf das Waschbecken. Ihm schoss ein Bruchstück von dem, was er geträumt hatte, durch den Kopf: Marie steigt aus dem Bild. Nimmt ihn an der Hand. Sie laufen durch das Dorf. Zu Stolte. Ins Moor. Immer tiefer hinein.
    Er drückte Wiederwahl und wartete mit pochendem Herzen bis zur Mailbox. Christina ließ ihn ins Leere klingeln. Wenn sich die Handygewohnheiten eines Partners verändern, hat er einen anderen Menschen getroffen, fühlte er.
     
    Posten 3: Stützeinrichtung Dach. Bohrungen auf Linie der Außenwände bis auf Grund. Pfähle setzen. Neues Fundament über Pfähle gießen. Zement, Material, Arbeitslohn (4 weitere Hilfskräfte) / 17.950.- Euro
    Die Spinne, ein moortypischer Weberknecht, war aus dem Abfluss wieder hochgekrochen und hatte überall Zahnpasta. Paul tippte mit zitternden Fingern in sein Handy:
     
    Ist es so schwer ein bisschen liebe zu senden? Oder ist es so aufregend mit euren fliegen?
     
    Hatte er richtig gelesen? 17.950? Kam das jetzt noch zu den 15.700 dazu? Er drückte den letzten Rest der Zahnpasta über dem Weberknecht aus und drehte heiß und kalt bis zum Anschlag. Handy? - Nichts!
    Damals im Botanischen Garten unter der Kastanie hätte er ihr antworten können: ich dich auch! - Doch eins zu eins, aus der Nähe, ich liebe dich? Ohne zwischengeschaltete Handys, Netzbetreiber und Signalisierungskanäle? Es kam ihm vor, als könne er so etwas nur aus der Entfernung ausdrücken oder Gefühle nur noch unter Bedrohung übermitteln, aus dem Teufelsmoor in Worpswede auf die Rambla nach Barcelona oder in irgendwelche gottverdammten katalanischen Betten.
    Zusammengerechnet waren das jetzt mit Abzugsgrippen 35.200 Euro! Zuzüglich der Mehrwertsteuer und der Kosten für die Säuberung der Erdbohrer, Raupen, Bagger, Betonmischer. Und das alles ohne die Maurerarbeiten, um die Wände wieder hochzuziehen, dafür rechnete Paul vorsichtshalber 8.000 plus Ziegel. Er sah in den Spiegel. Er war blass. Er musste Brüning drücken. Es ging zwar um das Einzige, was er erben würde, aber die Kosten für die Neugründung des Hauses übertrafen bei Weitem das Geld aus der Lebensversicherung. Bei der angedachten Halbe-halbe-Regelung seiner Mutter würde das Geld komplett in die Neugründung fließen und für Berlin, seine Projekte und sein Leben bliebe nichts mehr. Natürlich war es sinnvoll, Geld in das Haus und sein Erbe zu investieren, aber alles? Und wann könnte er es dann verkaufen? Nach Nullkücks Tod? Nach dem Tod seiner Mutter? Vielleicht, dachte Paul, wollte sie ihn nur spüren lassen, dass ihm das Haus, in dem sie ihn auf die Welt gebracht hatte, gefälligst etwas wert sein sollte. Vielleicht wollte sie, dass er um seine Kindheit kämpfte und damit um den Teil ihres gemeinsamen Lebens, der in diesem Haus stattgefunden hatte. Vielleicht wollte sie auch, dass er vor ihr auf die Knie fiel und

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