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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
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blamierte und am Ende aufsagen sollte, warum der Himmel über Worpswede glänzte, schimmerte, brannte, kämpfte und trauerte: Nordseeluft, Binnenluft und dieser blöde »Brodem des Moores«, erinnerte sich Paul, er war schon auf dem Fritz-Overbeck-Weg (noch ein Künstler!) - als ihm eine Gestalt entgegenkam. Hinter ihr brach der Himmel auf. Es war, als laufe sie direkt aus dem aufgerissenen Himmel heraus.
    Die Gestalt sah zu Boden, als sie sich trafen. Sie grüßte nicht und trug einen dunklen, nass glänzenden Umhang.
     

Ohlrogge beschließt, hinter der Kück-Scheune nach der Vergangenheit zu graben, und schickt die Frau mit der Gottfrage weg
    Peter Ohlrogge hatte die Nacht wieder im Don-Camillo-Club verbracht und war mit dem Duft einer Frau, die sich Coco nannte und deren Leben er nicht kannte, zurückgekehrt und in sein Bett gekrochen.
    Am späten Vormittag saß er aufrecht an das Kissen gelehnt und sah auf die Polizeimarke. Das runde Kupferstück lag auf der Bettdecke und in der Hand hielt er seinen Skizzenblock. Er entwarf keinen Himmel wie früher, sondern rekonstruierte ein Gespräch von vor über 30 Jahren auf dem Teufelsmoordamm:
     
    Herr Jahn (Nachbar von Paul Kück) gibt mir Polizeimarke = Kripo! Angeblich hinter der Scheune gefunden, aus der Stimmen kamen!
     
    Er dachte über die alte Scheune nach und sah sich mit Johanna die Einfahrt zum Haus hinunterlaufen Von all seinen Vergangenheiten, mit denen er lebte, hatte er diese Erinnerung immer ausgelassen.
     
     
    Sommer 1967, kurz vor der Trennung: Wie er Johanna gegen ihren Willen in der Scheune nimmt
     
    Sie kommen vom Meer, von der Nordsee. Sie waren den Strand entlanggelaufen und hatten einen Seehund gefunden mit offenen toten Augen. Danach hatte er versucht, sie in die Dünen zu ziehen und im weißen Sand zu lieben, aber Johanna wollte nicht. Jetzt sind sie zurück, er möchte endlich mit ihr schlafen.
    »Lass uns in die Scheune. Im Haus sind wir so unfrei, da hältst du mir immer den Mund zu.«
    »Nein«, sagt sie.
    »Warum nicht?«, fragt er.
    »Weil wir da als Kinder nie hineinsollten, darum!«, antwortet sie.
    »Aber jetzt bist du eine Frau, du kannst machen, was du willst«, sagt er und presst sie gegen die Scheunentür. Er klemmt sie zwischen seinen Beinen ein und dreht den Schlüssel um.
    »Hör bitte auf, da drin ist es dunkel, da riecht's nach Ton, nach Menschenseelen, außerdem ...«
    Er drängt sie in die Scheune und drückt sie in die Strohballen, die er beim Öffnen der Tür hinten gesehen hat.
    »Lass das, ich seh überhaupt nichts, ich will nicht, außerdem ist das gerade ein kritischer Zeitpunkt ...«, sagt sie, während ihn die Lust überkommt, Johanna in ihren Kinderängsten zu lieben. Sie wirkt auf ihn plötzlich wie ein Mädchen, das er heimlich und anfangs auch gegen ihre Widerstände verführen muss. Er nimmt sie im Stroh, gegen ihren Willen, aber wenigstens hat er das Gefühl, dass ihr Vater nicht weiß, wo sie sind, und nicht auf und ab geht vor Johannas Schlafzimmertür.
    Er ist schnell fertig. Danach zieht sie schweigend ihr Kleid zurecht und läuft mit tastenden Schritten durch die Dunkelheit. Er hört sie die Tür zuschlagen und bleibt im Stroh liegen. Er fragt sich nicht, was eben geschehen ist. Er weiß nur, dass er recht hat: Im Haus kann man keine Liebe machen. Entweder am Meer in den Dünen oder hier in der Scheune, aber nicht im Haus mit so einem Vater vor der Schlafzimmertür und einem Fachbuch über Beckenübungen im Bett. Ja, sagt er sich, es sind andere, die sein Verhalten veranlassen.
     
    Ohlrogge notierte:
     
    Scheune = Johannas Angst! Gespenster in der Scheune?? Menschenseelen??
     
    Er nahm die Polizeimarke in die Hand, die Jahn hinter der Scheune gefunden hatte.
    Ihm fiel diese Szene im Garten wieder ein: Er fragt den Vater von Johanna nach dem liegen gebliebenen Auto.
    Englische Truppen? Gestapo? Oder doch die Kriminalpolizei? Die Vorderachse ist im Schrank. Und wo ist der Rest? Gab es auch Kriminalpolizisten in dem Auto?
    Danach springen alle Kücks vom Butterkuchentisch auf und laufen weg.
    Ohlrogge sah wieder auf die Marke.
    Dr. Rudolph hatte damals kein offenes Ohr gehabt für die Marie-Theorien, sie passten nicht in seine fertige Welt von Worpswede und Mackensen, aber Ohlrogge spürte nun, dass die Marie-Spur mit der Polizeimarke und diesen Stimmen aus der Scheune nicht ins Leere führen würde. Im Nachhinein war das Gespräch bei Dr. Rudolph 1972 ideal verlaufen. Rudolph hatte nämlich recht

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