Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel
eingeladen worden von der berühmtesten Künstlerkolonie in Deutschland, wo ich seit Tagen male und male, vielleicht erzähle ich einmal beim Kaffee in St. Petersburg davon. Ich halte Sie immer noch für sehr talentiert. Residiere derzeit in Worpswede im Barkenhoff. Das ist ein Haus, in dem auch die Tochter von Lenin lebte. Wie gern würde ich dir dieses Märchenland zeigen! Ich sage einfach du, weil vieles so vertraut erscheint. Dein dir noch unbekannter Georgij Aleksej Petrov mit Grüßen in die Heimat
Ohlrogges Telefonate über den Fall Kück
Nachdem Ohlrogge am Morgen durch einen Angestellten des Instituts für Geschichtswissenschaft erfahren hatte, dass Anton Rudolph schon vor etwas längerer Zeit pensioniert worden war, bat er höflichst darum, man möge Dr. Rudolph die Meldung aus den Hamme-Nachrichten zum »Fall Kück« zukommen lassen mit herzlichen Grüßen von Peter Ohlrogge sowie der Bitte um dringenden Rückruf.
Nun rief er direkt bei den Hamme-Nachrichten an und fragte, ob sich der Bürgermeister von Worpswede schon zum »Fall Kück« geäußert und die Fakten geprüft habe, wie es in der Zeitung angekündigt worden war.
»Welcher Fall Kück?«, antwortete ihm eine Stimme, die unbeteiligt klang.
»Paul Kück, der Bildhauer«, erklärte Ohlrogge, er hörte, dass der andere einfach weitertippte, während er das Telefonat entgegennahm. »Also, der, der jetzt Künstler des Jahrhunderts werden soll«, konkretisierte Ohlrogge, »Rodin des Nordens! Kück!«
»KDJ Kück?«, hörte Ohlrogge die Stimme immer noch unbeteiligt und knapp.
»Was? Ja, genau!«, ihm fiel wieder ein, dass man für diese maßlose Übertreibung wie selbstverständlich auch noch eine Abkürzung eingeführt hatte, als sei der »KDJ Kück« bereits so eine Art Gesetzgebung. Er wiederholte: »Es geht aber nun um den Fall Kück!«
»Kenn ich nicht«, sagte die Stimme von der Zeitung und legte auf.
Das gibt's nicht!, dachte Ohlrogge, die haben das doch selbst gemeldet! Er rief wieder in der Zentrale an, ließ sich verbinden und hörte eine andere Stimme. Er kam sich schon vor wie bei seinen Karussellfrauen in den Hotlines, doch diese Stimme antwortete wirklich und gab sich sogar als für Worpswede zuständig aus.
»Wunderbar«, rief Ohlrogge. »Ich habe eine Frage zum Fall Kück!«
»Ist schon geklärt«, hörte er die zuständige Stimme, »Das war eine Falschmeldung.«
»Falschmeldung?«, fragte Ohlrogge, »Sagten Sie Falschmeldung??«, er war völlig irritiert. »Aber wer denkt sich denn eine Meldung aus, in der ein NS-Reichsbauernminister in der Künstlerkolonie ausgegraben wird?«
»So etwas kommt in einer Redaktion schon mal vor. Man wird heutzutage bombardiert mit Meldungen.«
Ohlrogge erkundigte sich, ob die Meldung, dass Paul Kück KDJ werden würde, auch eine »Falschmeldung« sei.
»Weiß ich nicht, da hatte ich frei«, antwortete die Stimme.
Ob er denn mit dem, der das mit der Ausgrabung falsch gemeldet habe, mal sprechen könne, fragte Ohlrogge.
Nein, hieß es, der arbeite nicht mehr in der Redaktion.
»Für Ihre Zeitung gibt es also keinen Fall Kück?«, wiederholte Ohlrogge noch einmal.
»Nicht dass ich wüsste, es tut mir leid, dass ich nicht weiterhelfen kann«, sagte die Stimme.
»Sagen Sie«, fragte Ohlrogge fassungslos, »der Goya-Wendland-Vergleich 1967, das war doch bestimmt auch eine Falschmeldung, oder?!«
»Weiß ich nicht, da war ich noch gar nicht auf der Welt. Wiederhören!«
Mittwochs war immer das »Bürgertelefon« des Worpsweder Bürgermeisters geschaltet, von 11 bis 12 Uhr. 04792/3110. Ohlrogge versuchte es wieder und wieder, sein Telefonanschluss machte mittlerweile richtig Sinn. Nach 45 Minuten kam er durch.
»Einen schönen guten Tag. Was kann ich für Sie tun?«, meldete sich die angestrengte Stimme des Bürgermeisters, er versuchte die Anstrengung mit Freundlichkeit zu überspielen.
»Ich habe eine Frage zum Fall Kück«, sagte Ohlrogge, schon ganz ermüdet. »Was sagen Sie dazu?«
Der Bürgermeister schwieg.
»Hallo?«, rief Ohlrogge in den Hörer.
»Versteh ich nicht. Ich bin doch Kück«, antwortete der Bürgermeister, nunmehr mit eindeutig belegter Stimme.
Ohlrogge hatte nicht gewußt, dass der aktuelle Bürgermeister auch Kück hieß, und sagte: »Ich meine natürlich, Entschuldigung, Paul Kück, der, der jetzt Künstler des Jahrhunderts werden soll! Der mit dem Reichsbauernführer! - Sind Sie noch dran?«
»Ich höre«, sagte der Bürgermeister. »Mit wem spreche ich
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