Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
Vom Netzwerk:
zugehört. Er war eher damit beschäftigt, auf die Art und Weise zu reagieren, mit der ihm erneut das Wort abgeschnitten wurde, schließlich wollte er ja gerade für Entspannung sorgen und noch einmal selbst das Würdethema zur Sprache bringen, aber dieser Gustav rauschte ihm schon wieder mit seinen dominanten Ausführungen dazwischen, ohne den geringsten interessierten Nachklang, was die Kückgeschichte betraf.
    So waren die Künstler, wie er sie hasste! Immer nur um sich selbst kreisend, jeden künstlerischen Klecks oder Strich, den sie in die Welt setzten, hielten sie für unverzichtbar, erklärten ihn zum Abbild oder zur Vision einer untergehenden Gesellschaft, schonungslos war ihr Blick auf das Dasein, danach konnte nur noch die Revolution kommen - so war sich doch dieser Herr W. vorgekommen, dieser verlogene Hasenmensch-Typ, der die Gesellschaft anklagte und ihr gleichzeitig in den Hintern kroch, diese Analvioline! Und so was verglich man mit Goya! Überhaupt, wie sich die Künstler ständig anstandslos vergleichen ließen! Kück mit Rodin! Horst Janssen mit Rembrandt, Mackensen auch mit Rembrandt! Und Goya wurde, ohne dass dieser sich wehren konnte, in einen Topf mit Herrn W. geworfen, der gleichzeitig noch Janssen in den Arsch kroch! Und was wäre gewesen, wenn Gustav, der sich, ohne mit der Wimper zu zucken, in die Nähe von Kippenberger rückte, den ersten Preis bekommen hätte? Er wäre der Bank genauso hinten hineingekrochen in ihr unbarmherziges, tierisches Wesen!
    Ohlrogge war froh, dass wenigstens die Bank nicht jeden Scheiß mitmachte, Malerei hatte nun mal mit Malen zu tun! Dieser ganze installationshafte Metamist mit leeren Leinwänden und Farbtöpfen, in die man innerlich selbst den Pinsel tunken sollte! Dieser krankhafte Zwang nach immer etwas Neuem, mit dem sich offensichtlich ganze Märkte jeden Tag selbst beweisen wollten, wie neu und frisch sie waren. Ja, er dachte jetzt an einen Gemüsemarkt, der morgens plötzlich viereckige Apfel anbietet oder grüne Milch, als ob es die weiße Milch oder die althergebrachten rundlichen Apfel nicht mehr bringen würden. Man brauchte heutzutage auch bananenförmige Kartoffeln! Man verbog die Dinge, um neu zu sein. Und man verbog sich selbst dabei, um neu zu sein für diese ach so frischen Marktmenschen, Könnerschaft egal, Geschmacksnerven hatte sowieso keiner mehr: Pseudo-Milch, Pseudo-Apfel, Pseudo-Kartoffeln, Pseudo-Malerei, Pseudo-alles, eine völlig unwesentlich gewordene Gesellschaft von Gegenwartsidioten, in der er da lebte. Am meisten regten ihn diese globalen Mikrochips von Gustav hinter der leeren Leinwand auf, global war wohl immer gut, wie?
    »Wenn ich bei Wolken, Wind und Weite mitgemacht hätte, wäre es überhaupt keine Frage gewesen, wer den ersten Preis zugesprochen bekommen hätte! Sie können ja mal nur zum Spaß die aufziehenden Gewitter bei Turner mit meinen alten Arbeiten vergleichen! Und dabei verzichte ich sogar auf Rot und Gelb! Ich schaffe das alles nur mit Blau!«, erklärte Ohlrogge, fast zum Absprung auf Gustav bereit, diesen Möchtegern-Kippenberger, der ihn immer noch demonstrativ ansah, so als warte er auf Ohlrogges Motiv zur ultimativen Würde des Menschen.
    »Oh, schon vier!«, bemerkte Rüdiger und sah auf seine Uhr.
    »Gut«, sagte Frau Bender, »wir schließen heute an dieser Stelle. Ich bitte die, die noch nicht eine Überweisung oder Bescheinigung für die Befreiung von Zuzahlungen mitgebracht haben, das nächste Mal daran zu denken.«
    »Hab ich schon«, zischte Ohlrogge und verließ fluchtartig die Gruppe.
     

Der fremde Mann
    Am siebten Tag wachte Paul durch unruhige Schritte auf. Draußen sah er einen Fremden durch den Garten laufen. Der Mann trug in der einen Hand eine Luftpumpe, in der anderen eine Zeitung und betrachtete das Haus, die Skulpturen, Rembrandt, Nietzsche, Ringo Starr, natürlich Marie, wie alle Männer, die zu den Kücks kamen. Er trat ganz nah an Marie heran und strich mit den Fingern über ihre Bronze. Dann lief er weiter, fasste über das gespannte Seil, mit dem Bismarck an der alten Eiche hing wie alle anderen.
    Paul sprang aus dem Bett und starrte auf die Stelle im Garten, wo in der Nacht der Reichsbauernführer gestanden hatte.
    Er war weg.
    »Wo ist er?«, rief Paul quer durch das Haus und lief in den Ostflügel, Nullkück suchend. »Wo ist er?? Es ist weg, das Ding?!«
    Nullkück saß in seinem Zimmer. Er sah aus, als habe er weiß Gott Wichtigeres zu tun, er sagte nur:

Weitere Kostenlose Bücher