Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
Vom Netzwerk:
mit drei Farbtöpfen und dann den 1. Preis von 10.000 Euro haben möchte?«
    »Aber Malerei ist doch heute nicht nur, dass man irgendwas malt!«, erklärte Gustav, er saß schon auf der äußersten Kante des Stuhls. »Außerdem gab es ja auch noch die Stimmen! Als Bank wäre ich schon bei diesen globalen Stimmen hinter dem leeren Bild nachdenklich geworden!«
    »Vielleicht hat das keiner so richtig verstanden?«, gab Frau Bender zu bedenken.
    Das verstand man ja auch wirklich nicht, diese globalen Stimmen hinter dem leeren Bild, dachte Ohlrogge, er wurde langsam etwas unruhig. In Worpswede sollte ein Nazi-Künstler geehrt werden, es war unmöglich, sich beim Bürgermeister damit Gehör zu verschaffen, geschweige denn, ihn auf die Problematik hinzuweisen, und jetzt kam er auch bei dieser Gruppensitzung nicht so richtig zum Zuge.
    »Könnte es vielleicht sein, dass Sie durch diese Ablehnung erkennen sollen, dass Ihre Stärken eventuell woanders liegen?«, fragte Frau Bender vorsichtig weiter. »Ich meine, möglicherweise, Gustav, sollen Sie die Malerei nach und nach in sich ...Also, müssen Sie denn unbedingt Maler sein und an Malwettbewerben teilnehmen?«
    Gustav sah sie entsetzt an.
    »Schauen Sie, beim Thema mit den Wolken im letzten Jahr, da haben Sie nichts gemalt, und in diesem Jahr haben Sie wieder nichts gemalt. Vielleicht gehen Sie dem Malen unbewusst aus dem Weg?«
    Der andere, Rüdiger hieß er, nickte mit dem Kopf.
    »Das Leben gibt uns Abweisungen, damit wir erkennen, dass unsere Fähigkeiten möglicherweise auf anderen Gebieten liegen. Dafür müssen wir aber das Alte überwinden, um überhaupt etwas Neues anziehen zu können«, erklärte sie und wandte sich Ohlrogge zu. »Das gilt auch für Sie. In unserem ersten Gespräch wirkten Sie vollkommen blockiert von Ihren früheren Beziehungen. Sie saßen hier wie ein Mann, der nicht aufrecht sitzen kann, weil ihn das Alte herunterdrückt.«
    »Jetzt gibt's aber etwas Neues!«, sagte Ohlrogge. »Der Vater von Johanna ist zum Künstler des Jahrhunderts berufen worden! Hier soll einer berufen werden, bei dem man vor ein paar Tagen im Garten einen riesigen Bronzeguss vom Reichsbauernführer gefunden hat! Das stand sogar in der Zeitung! Haben Sie das gelesen?«
    »Aber das ist lange her. Es ist nichts Neues, es ist wieder das Alte«, sagte Frau Bender.
    »Was soll das denn heißen? Der Reichsbauernführer steht für das Hitler-Regime und für ein Menschheitsverbrechen, soll ich das etwa loslassen, nur weil es alt ist?« Ohlrogge fand, dass er recht hatte. Gewiss, er war hier, um das Alte loszulassen, aber nun hatte sein persönliches Problem eine andere, höhere, eine historische Dimension bekommen.
    »Ich bin nicht für die Geschichte zuständig, sondern für Sie«, antwortete die Therapeutin. »Bei Ihnen merke ich, dass Sie mit dem Kück-Thema. Ihr ganzes Leben entschuldigen wollen und dass Sie immer neue Gründe suchen, um damit weiterzumachen. So bleiben Sie immer der Leid-Ohlrogge, der auf seiner ewig alten Leier spielt.«
    »Ich gebe zu«, erwiderte Ohlrogge, »dass ich mich damit zu lange beschäftigt habe, aber jetzt, Frau Bender, jetzt kann ich doch nicht aufhören, das hat doch gar nichts mit meiner persönlichen Leier zu tun? Ich mache mich ja geradezu strafbar, wenn ich es jetzt durchgehen lasse, dass unsere Gesellschaft, allen voran unser Bürgermeister, so etwas vergisst und den Teilnehmern an diesem historischen Verbrecher-System auch noch Ehre zukommen lässt!«
    Frau Bender sah ihn hilflos an. »Sie haben recht«, sagte sie, »als Staatsbürgerin kann ich Ihnen zustimmen, aber als Ihre Therapeutin, gerade in einer Gruppe, wo wir gemeinsam das Loslassen proben wollen, muss ich Ihnen widersprechen. Protect me from what I want, kennen Sie diesen Satz? Wenn Sie jetzt Ihr persönliches Problem mit dem historischen Verbrechersystem verbinden, kommen Sie da nie mehr raus!«
    Rüdiger nickte schon wieder mit dem Kopf.
    »Ich brauche gar nicht das Verbrechersystem!«, erklärte Ohlrogge. »Ich kann ganz konkret sagen, dass in der Familie Kück eine Frau verschwunden ist! Die Kücks haben immer erzählt, dass Marie von der Gestapo abgeholt wurde, weil sie angeblich von Fritz Mackensen schwanger war und kommunistische Reden hielt. Aber Kücks Nachbar, der kannte Marie gut, und der hat erzählt, dass Marie mit Mackensen gar nicht schlafen wollte und sie deshalb ihren Job bei ihm als Dienstmädchen los war! Warum sollte da gleich die Gestapo kommen? Alles

Weitere Kostenlose Bücher