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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
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NSDAP-Ortsgruppe Lübeck und Lübecker Oberbürgermeister
    Wilhelm Frick: Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei
    Heinrich Himmler: Reichsleiter der NSDAP sowie Reichsleiter zur Bekämpfung von Homosexualität und Abtreibung, später Reichsinnenminister usw.
    Alfred Rosenberg: Reichsleiter des Kampfbundes für deutsche Kultur und zuständig für die besetzten Ostgebiete
    Hans von Tschammer: Reichssportführer
    Richard Walther Darre: Reichsbauernführer
     
    Paul spürte, wie sich seine Hand in der Hosentasche zu einer Faust um das Metallstück und den Scheunenschlüssel ballte. Von einem Namen und einer Funktion zur anderen immer stärker, bis ihm der Rost ins Fleisch schnitt.
    »Joachim von Rippentropp und Baidur von Schirach mit der Deportation der Wiener Juden lass ich mal weg. Jetzt kommt's!«, verkündete der Mann: »Am 3. Oktober des Jahres 1941, berufen durch den Reichsbauernführer zum Ratmann der Nordischen Gesellschaft für den Kreis Osterholz.« Er hielt Paul das Dokument direkt vor die Nase:
     
    Paul Kück: Künstler
     
    »REICHSKÜNSTLER!«, schrie der Mann, faltete die Liste wieder zusammen und steckte sie in seine Windjacke. Dabei sah er den Kück-Abkömmling mit einem kalten, irgendwie mondähnlichen Blick an. »Und der Obernazi, der ihn in diese widerliche Gesellschaft berufen hat, der muss hier irgendwo herumliegen«, sagte er. Er warf noch einen Blick über die Erdlöcher und Abzugsgräben, dann ging er auf die alte Scheune zu.
    Paul sah erst jetzt die Spur, die offensichtlich die Schubkarre mit den Vollgummireifen und dem schweren Reichsbauernführer bis zur Scheunentür gezogen hatte. »Entschuldigung, was soll das?« Er lief ihm hinterher. »Was machen Sie da?«
    Der Mann stand schon direkt vor der Scheune und überreichte seine Visitenkarte. »Ich arbeite gerade im Auftrag der niedersächsischen Gedenkstätten an einem Norddeutschen Lexikon. Mich interessieren die Jahre von 1933 bis 1945. Haben Sie zufällig einen Schlüssel für diese Tür?«
    Paul starrte auf die Visitenkarte. »Ich finde das sehr interessant, Herr Dr. Rudolph. Mit dem Lexikon und so, aber ich muss mich jetzt um das Haus kümmern. Kommen Sie doch ein anderes Mal wieder. Vielleicht mit Anmeldung, dann gibt's auch Tee«, sagte Paul, um einen entspannten, freundlichen Ton bemüht.
    »Wissen Sie, es wäre schön, wenn Sie in den nächsten Tagen den Reichsbauernführer bereitstellen, ich will keinen Tee.« Er rüttelte an der Scheunentür. »Die Menschen haben ein Recht zu wissen, dass man hier in Worpswede nicht all die Jahre einen friedlichen Dornröschenschlaf abgehalten hat.«
    »Das sehe ich auch so, Herr Dr. Rudolph. Ich kann Ihnen aber nicht mit einem Führer dienen. Ich habe nur Max Schmeling. Kommen Sie doch demnächst vorbei, und wir graben hier zusammen, vielleicht finden wir was.«
    Der andere bekam einen ganz dünnen Mund und griff wieder in seine Jackentasche. »Hier! Ich schenke Ihnen die Liste mit Ihrem Großvater«, sagte er und überreichte sie. »Die kommt auch ins Lexikon. Aber nicht nur die Liste, sondern alles über Worpswede. Können Sie sich vorstellen, dass Mackensen, der Gründer der Künstlerkolonie, reinrassige Familien malte, obwohl er selbst ein behindertes Kind hatte? Und wussten Sie, dass Goebbels Modersohn-Fan war?«
    Paul hatte so etwas über seinen schönen Geburtsort noch nie gehört. Er antwortete nur: »Hm. Echt?«
    »Hoetger, Krummacher, Uphoff, Scharrelmann, Hausmann! Ach, was sollen Sie schon über Worpswede wissen, wenn Sie nicht mal wissen, wer Ihr Großvater war!«
    Paul überlegte, dass es besser wäre, die Situation weiter zu entspannen, denn der Mann stand immer noch direkt vor der Scheune. »Also, ich bin da sehr aufgeschlossen. Vielleicht können Sie mir Ihr Lexikon zukommen lassen?«, antwortete Paul.
    »Erwarten Sie nicht, dass da viel über Ihren Großvater drinsteht. Diese Liste und dass er seine Werke vergraben hat, das reicht. Er war ja, wenn man das von heute betrachtet, eher eine Randfigur.«
    »Na, wenn Sie meinen, er ist übrigens gerade Künstler des Jahrhunderts geworden. Ich wünsche noch einen schönen Tag. Sie kennen den Weg zur Hauptstraße, Herr Rudolph?«
    »Danke!«, entgegnete er und hielt seine Luftpumpe in der Faust wie einen Schlagstock. »Sind Sie auch Künstler?« »Nein, wieso?«
    »Aber Ihr Vater, der ist es doch?«
    »Wir haben keinen Kontakt«, antwortete Paul und warf einen auffälligen Blick auf seine Uhr. »Brauchen Sie ein Taxi, Herr Dr.

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