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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
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erlauben konnte die sich wohl auch nicht, nein, denn da kam nämlich die Kriminalpolizei!«
    Er zog die runde Kupfer-Dienstmarke aus der Tasche und hielt sie der Gruppe hin.
    »Die wurde hinter Kücks Schuppen gefunden! Und ich habe an bestimmten Stellen recherchiert: Marie ist weder im Frauen-KZ Ravensbrück registriert noch in Moringen oder Bergen-Belsen, auch nicht in Neuengamme, Farge, Wietzendorf, Hannover-Limmer oder Fallingbostel! Wenn man einmal anfängt zu forschen, kommt man auf immer weitere KZs, von denen man früher nie etwas gehört hat. Ich habe jetzt herausgefunden, dass es sogar in Sandbostel ein Auffanglager gab, Stammlager XB, da wurden vorwiegend Russen ermordet, das ist bei uns direkt um die Ecke, da war der berühmte französische Philosoph Louis Althusser, ich weiß nicht, wie man den ausspricht, ein Marxist, der hatte wegen Sandbostel manisch-depressive Störungen und brachte später seine Frau um, er hat sie erwürgt. In Sandbostel war auch der russische Kunstturner Tschukarin. Marie aber nicht! Kennen Sie noch andere KZs, die in Betracht kämen?«
    Frau Bender holte tief Luft.
    »Also, wenn ich die Bank wäre, dann hätte ich sofort erkannt: Da ist jemand, der die Würde des Menschen nur deshalb nicht darstellt, weil es sie gar nicht mehr gibt!«, meldete sich Gustav zu Wort, der zwischendurch wie versunken auf seinem Stuhl gesessen hatte. »Da stehen rote, blaue und weiße Töpfe, die Farben der Menschlichkeit, die aber stumm geworden sind, die Farben schweigen! Das muss einem doch auf Anhieb klar werden! Außerdem stehen meine Werke in sehr enger Beziehung zu Martin Kippenberger und dem Ende der Malerei, hier geht es um strategische Metakunst, das kann ich der Bank auch schriftlich geben!«
    »Hören Sie«, ermahnte ihn Frau Bender freundlich, »diese sogenannten Nachklänge, von denen ich gesprochen hatte, die machen nur Sinn, wenn Sie den anderen auch zuhören und auf das Gesagte Bezug nehmen.«
    »Ich habe aber kein Wort verstanden«, erklärte Gustav. »Wer hat denn wen erwürgt? Ich weiß auch überhaupt nicht, wer diese Marie ist und was die mit seiner früheren Beziehung zu tun haben soll. Eine gewisse Marie wollte nicht mit Mackensen schlafen, das habe ich begriffen. Aha. Und wie geht's weiter bitte?«
    Ohlrogge fühlte sich angegriffen. Es mochte ja sein, dass er in dem ganzen Komplex schon zu lange steckte und die Dinge so verkürzt schilderte, dass sie andere nicht mehr nachvollziehen konnten, trotzdem fuhr ihm dieser Gustav mit der Bank und seinem Kunstgequatsche mitten hinein in seine Kückgeschichte und in die Nachklänge, die auch ihm in dieser Gruppenarbeit zustanden und für die er schließlich bezahlte.
    »Glauben Sie, Ihre globalen Stimmen hinter dem leeren Bild sind schlüssiger?«, fragte Ohlrogge im Gegenzug. »Ich bin nämlich zufällig auch Maler, und wenn ich die Bank wäre und einen Preis für Malerei ausschreiben würde, dann würde ich die Malerei fördern wollen und nicht irgendwelche chinesisch sprechenden Mikrochips hinter Leinwänden, die unbemalt bleiben, weil die Farben aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen stumm geworden sind!«
    »Na, dann frage ich doch Sie!«, erwiderte Gustav. Er sah nun ebenfalls aus, als fühlte er sich angegriffen, »Mit welchem Motiv hätten Sie denn die Würde des Menschen dargestellt? Ich bin sehr gespannt!«
    »Ich muss Sie beide unterbrechen«, schaltete sich Frau Bender ein. »Da kommen jetzt ein paar Ebenen durcheinander.«
    »Lassen Sie doch«, versuchte Ohlrogge selbst die Sache zu entspannen. Er wollte gerade sagen, dass es grundsätzlich wichtig sei, über die Würde nachzudenken, und dass er sich auch nur in die Rolle der Bank versetzt und keine persönliche Kritik geäußert habe, doch Gustav unterbrach ihn, als er gerade Luft zum Sprechen holte.
    »Natürlich ist es leicht, unwürdige Menschen zu malen oder Menschen, über die andere Unwürde gebracht haben, da müsste ich ja nur ein Gruppenbild von uns anfertigen. Aber wo bitte, wo findet man etwas Würdiges, einen würdigen Menschen, wo? Wenn man im Lexikon nachsieht, wird alles erklärt: Wuppertal, Würmer, Wüste, aber Würde kommt gar nicht vor! Und dann kommt ausgerechnet die Bank mit ihrem unbarmherzigen Wesen, ihrer fast tierischen Gier und lehnt einen ab, wenn man sie künstlerisch darauf hinweist, dass es um die Würde des Menschen schlecht bestellt ist?! Ich ertrage es einfach nicht mehr, auf diese Schöpfung zu sehen!«
    Ohlrogge hatte nicht richtig

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