Der Mantel - Roman
Wohl eher ein freudiges Davonspringen mitsamt der Beute. Sie hatte heute viel erreicht, dachte er. Ihm diese ganze verrückte Geschichte eröffnet zu haben, musste sie unendlich erleichtern. Nun war alles am Tageslicht und von ihm akzeptiert. Franz hatte auch diesen Kampf mit ihr verloren. Sie hatte sich aus ungünstigster Situation selbst neu erfunden. Er bewunderte sie, je länger er darüber nachdachte.
Derart in Gedanken versunken, nahm er erst jetzt wahr, dass Shivas Nase an sein Knie stieß. »Ja, du hast lange ausharren müssen. Wir gehen gleich.« Er zog sich rasch eine Jacke über, nahm die Hundeleine vom Mantelhaken und wandte sich zur Tür, wo Shiva bereits schwanzwedelnd stand. Die Frühjahrsluft war kühl und klar. Keine Abgase, ein leichter Wind, den die tiefstehende Sonne vor sich herzutreiben schien. Shiva ging konzentriert bei Fuß durch die stillen Straßen zum Fluss. Hier leinte er ihn kurz an, um sicher den dichten Feierabendverkehr auf der Uferstraße zu überqueren. Das Isarwasser war metallisch grün und emsig, ohne drängende Fülle oder wildwassergleiche Gewalt. Es hatte länger nicht geregnet.
Schmidt fand schon auf den ersten Metern seines stadtauswärtsgewandten Weges seinen Wurfknüppel. Shiva lief ihm in gestrecktem Lauf nach. Aber er hatte nicht bellend den Wurf gefordert, dachte Schmidt. Der nächste Versuch gelang ihm ungewöhnlich gut. Das Holz flog sehr hoch, war ihm nicht wie so oft im letzten Moment ausgerutscht und schien sich förmlich in der Luft durch viele Überschläge noch einmal zu strecken. Das mochten 30, 35 Meter gewesen sein, dachte er mit dem Stolz eines Jungen. Shiva war rasch gefolgt. Als er den Knüppel erreicht hatte, nahm er ihn auf und stand, das große Holz im Maul, unschlüssig da.
Schmidt rief: »Was ist, Shiva?« Der kräftige Hund trabte zu ihm zurück. Er atmete schwer und speichelte stark. Das Holzstück landete vor Schmidts Füßen. Schwanzwedelnd stand er da, ausgepumpt und mit entschuldigendem Blick. Schmidt trat einen Schritt vor und hockte sich auf seine Fersen. Der Hund legte den kräftigen Kiefer auf seine Knie. Die Nässe seines Speichels drang sofort durch die Hose. Schmidt streichelte den wuchtigen Kopf, der nun ganz auf seinem Bein ruhte. »Was ist, Großer? Du bist so schlaff. Was fehlt dir?«
Diese Augen. Nun schien der Bernstein ganz dunkel, bräunlich und undurchsichtig. Er dachte, wie sehr diese Augen strahlen konnten, golden, fast funkelnd in der Sonne. Ein leises Fiepen entrang sich seinem Maul. Schmidt ließ seine Hand von den Schulterblättern zu den Flanken und dem Unterbauch des Hundes gleiten. Er zuckte und fiepte erneut, noch heller. Schmidt hatte die deutliche Schwellung dort in der Nähe der Leisten doch schon festgestellt, sich dann aber nicht mehr mit ihr befasst. Vielleicht aus Furcht, er könnte eine Entdeckung mit fatalen Folgen gemacht haben. Feigling, dachte er, über sich selbst aufgebracht. Er machte einen erneuten zaghaften Versuch. Der Hund sprang mit einem schrillen gequälten Bellen auf.
Schmidt richtete sich auf. Ein Tierarzt musste her. Schleunigst. Die Graseder sollte den besten finden. Shiva hatte nie Beschwerden gehabt. Schmidt wusste nicht, wohin er sich wenden sollte. Nur schnell musste es sein. Schließlich hatte er schon so viel Zeit durch unverantwortliches Wegschauen vertan. Was konnte es sein? Hatte seine Unentschlossenheit auch mit Angst vor einer eigenen Erkrankung zu tun?
Sie trotteten zurück. Die Dunkelheit setzte langsam ein. Shiva lief hölzern. Er blieb nahe bei Schmidt, der ihm gelegentlich ermutigend zusprach. Bei dieser Beleuchtung hatte die Landschaft den Charakter einer Theaterkulisse. Wiesen, die auf der einen Seite zum Fluss steil abfielen und auf der anderen Seite brüsk anstiegen. Mächtige Laubbäume in aufgelockerter, weitflächiger Ordnung. Ihre ausladenden Kronen deckten große Flächen ab. Sie standen nun im Abenddunkel, sich auflösend, als hünenhafte Bewohner der Flusslandschaft, regungslos. Die Adern schwarzer Wege, die das grau ausbleichende Grün durchzogen, waren unbeleuchtet. Sie schufen eine ausgeglichene Geometrie, die mit den dazwischen residierenden Bäumen zu korrespondieren schien.
Bei einem Routinegriff in die Jackentasche stieß er auf drei kleine Hundekuchen, die er sehr erfolgreich an den Hund brachte. Gut so, die Krankheit hat den Appetit nicht in Mitleidenschaft gezogen, dachte er. Und er dachte an Sabine Graseder und an Franz und an Fabian. Und daran, dass
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