Der Marathon-Killer: Thriller
Satellitenbilder gesehen, die Route, die Osama Bin Laden genommen hatte, als er den Amerikanern entwischte. Jede der Holzhütten war weit in den roten konkanischen Berghang gebaut. Die, in der er jetzt saß, hatte eine Tiefe von sechs Metern, obwohl sie von außen winzig wirkte. Außer Salim Dhar war niemand darin, und der Terrorist legte eine rastlose Energie an den Tag, während er jetzt in einem Topf über einem kleinen Gaskocher Kardamom- Chai mit Milch kochte. Draußen vor der Tür saß ein Mann auf einem Plastikstuhl, hielt ein AK-47 auf den Knien und rauchte eine Zigarette.
»Wir haben sehr viel gemeinsam, du und ich«, sagte Dhar in perfektem Englisch.
»Nur gebe ich die Milch hinterher dazu, und du kochst alles zusammen, und zwar mit ungefähr einem Kilo Zucker.«
»Und wer hat die besseren Zähne?«, fragte Dhar, drehte sich um und reichte Marchant einen rostfreien Stahlbecher mit Tee, den er am Rand hielt. Sein Lächeln war strahlend weiß.
Marchant bemühte sich zu begreifen, warum Dhar ihn so herzlich willkommen hieß. Aus seiner Zeit in Afrika war er an die Gastfreundschaft gegenüber Feinden gewöhnt, an den höflichen Aufschub der Feindseligkeiten, wenn die kriegsführenden Parteien vor dem Gemetzel noch zusammen aßen. Aber hier ging es um etwas anderes, und bislang hatte er nicht herausgefunden, was es war.
Von dem Augenblick, in dem Dhar ihn am Fuß des Hügels mit breitem Grinsen und herzlicher Umarmung begrüßt hatte, schossen Marchant die wildesten Möglichkeiten durch den Kopf. Der große Mann seiner Eskorte war auf dem Hügel zurückgelassen worden, und Marchant fiel eine Anzahl Männer verstreut auf den felsigen Bergen auf. Der zweite Fischer hatte Marchant durch ein tiefes Tal mit Kokoshainen und dichtem Dschungel begleitet, auf dessen anderer Seite die Ansammlung von Hütten lag. Wenigstens zehn Männer, manche mit Zigaretten, alle mit Waffen, saßen hier herum.
Marchant stellte eine wilde Mischung von Nationalitäten fest: Araber aus Nordafrika und dem Nahen Osten. Niemanden schien seine Ankunft zu beunruhigen. Er fragte sich, ob sich Dhar eine Geschichte ausgedacht hatte, damit sie sich wegen seiner Anwesenheit keine Sorgen machten. Aber wusste Dhar überhaupt, wer er war? Hatte er eine Ahnung, dass sein Besucher bis vor einiger Zeit seine Tage damit verbracht hatte, Menschen und Orte wie diese aufzuspüren und zu eliminieren? Dhar wirkte locker, fragte ihn nach der Reise, nach den Westtouristen an den Stränden, nach seinen Eindrücken vom Klima - der übliche Small Talk zwischen Zufallsbekanntschaften.
Jetzt allerdings, als Dhar sich ihm gegenüber an den wackeligen Tisch setzte und Schweißperlen auf seiner Stirn standen, spürte Marchant eine Veränderung. Vielleicht würde sie sogar sein Leben betreffen. Sein Vater, daran musste er jetzt denken, hatte Dhar im Gefängnis besucht, und Marchant spürte, wie ihm flau im Magen wurde. War er ähnlich herzlich willkommen geheißen worden? Hatten die Amerikaner recht, wenn sie die Loyalität seines Vaters zum Westen infrage stellten? Marchant erinnerte sich daran, dass Dhar kaltblütig Anschläge auf zwei amerikanische Botschaften verübt und dabei viele US-Marines getötet hatte.
»Du siehst ihm tatsächlich ein bisschen ähnlich«, sagte Dhar auf Englisch. »Die Familienähnlichkeit ist vorhanden - das gute Aussehen.« Marchant nippte an seinem Tee und war dankbar für den süßen Gewürzgeschmack. Dhar trug ein T-Shirt mit abgeschnittenen Ärmeln, das Muskeln enthüllte, wie man sie sich in einem Fitnessstudio antrainierte. Er war groß, sein Gesicht lang und kantig, und die Hautfarbe war viel heller als die der Einheimischen von Karnataka. Die Nase stach hervor, die Augen lagen tief, aber nichts an seinen Zügen überraschte oder wirkte unproportional. Vielleicht aus reiner Gewohnheit betrachtete Marchant Dhars tiefe, markante Ohrläppchen. Das war der Teil eines Gesichts, der am schwierigsten zu verändern war.
»Gut, dass wir uns treffen können.«
»Mein Kampf richtet sich nicht gegen die Briten, auch wenn die Unterstützung eurer Regierung für die Ungläubigen feige ist.« Wie auf Knopfdruck wurde Dhars Stimme hart und bekam den vertrauten Tonfall eines Dschihadis .
»Ich habe eine Nachricht erhalten, dass du möglicherweise hier auftauchst.«
»Von wem?«
»Von einem alten Freund der Familie.«
Marchant nahm an, es müsse sich um Onkel K handeln. »Ich muss wissen, warum dich mein Vater in Kerala besucht
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