Der Marathon-Killer: Thriller
der Premierminister gebrauchen kann, ist noch ein Spion, der die Seite gewechselt hat.«
Fielding überlegte, ob er Daniel Marchant abermals verteidigen sollte. Vielleicht war es der Wirkung seines Gins zuzuschreiben, doch plötzlich erschien ihm Chadwicks Vorschlag nicht mehr so abwegig. Ein Teil von ihm lehnte es ab, Marchant weiterhin zu beschützen, angesichts der Kopfschmerzen, die dieser Kerl ihm bereitet hatte. Chadwick hatte recht: Marchant hatte zu den vielversprechendsten
Agenten seiner Generation gehört, und er war genau die Sorte frischen Blutes, die der Geheimdienst zu gewinnen versuchte. Fielding wusste auch, dass er nur wegen der Vorwürfe gegen seinen Vater suspendiert worden war. Und diese Vorwürfe mussten endlich ausgeräumt werden: Sie richteten zunehmend größeren Schaden an. Je eher die Amerikaner das Treffen zwischen dem früheren MI6-Chef und Dhar vergaßen, desto besser für alle Beteiligten.
Es gab dabei nur eine Sache, die ihm Sorgen bereitete, und zwar die »erweiterten« Verhörmethoden, die von der CIA eingesetzt wurden. Der neue Präsident hatte Folter zwar verboten, doch auch in Langley hielt man gern an alten Gewohnheiten fest. Trotz allem war Marchant immer noch einer seiner Leute, und im Augenblick war er sehr verwundbar.
»Er darf das Land nicht verlassen«, sagte Fielding und trank seinen Gin aus. »Und ich will ihn lebend zurück.«
10
Leila kehrte nach London zurück und überließ es Marchant, bei einer Flasche Whisky, die sie hereingeschmuggelt hatte, über Fieldings Besuch nachzudenken. Er trank zu viel, das wusste er. Die Trainingsläufe mit Leila und die spontane Entscheidung, beim Marathon mitzulaufen, waren ein Versuch gewesen, eine gewisse Ordnung in sein Leben zu bringen, die ihm seit dem Tod seines Vaters fehlte. Nie war er besser in Form gewesen als zu der Zeit, in der er für den MI6 gearbeitet hatte. Der Alkohol betäubte den Schmerz, aber er zog Marchant auch in sein altes Leben zurück, in die zügellosen, gleichgültigen Tage im Presseclub von Nairobi.
Die ersten Wochen nach der Suspendierung waren am schlimmsten gewesen. Wenn er nüchtern gewesen war, hatte er nur an den Maulwurf gedacht, der angeblich den MI6 unterhöhlt hatte. Auf diese Weise trauerte er und fand ein Ventil für seine Wut. Er stand im Morgengrauen mit platzendem Schädel auf und streifte durch die leeren Straßen von Pimlico, hielt die Gerüchte über seinen Vater ins fahle Morgenlicht und betrachtete sie aus jeder nur erdenklichen Perspektive. Er stellte sich auf die Vauxhall Bridge und schaute den Flussschiffen nach, die unter ihm hindurchfuhren, ehe er sich dem MI6-Gebäude zuwandte
und zu den Fenstern der Chefetage hinaufblickte. Handelte es sich nur um eine skrupellose Intrige, mit der sein Vater aus dem Weg geschafft werden sollte, oder bestand tatsächlich die Möglichkeit, dass Al Kaida den britischen Geheimdienst unterwandert hatte?
Aufgrund seiner Suspendierung war es ihm nicht gestattet, das Gebäude zu betreten oder auch nur mit seinen Kollegen über die Arbeit zu sprechen. Er durfte auch nicht ins Ausland reisen. Seine falschen Pässe waren eingezogen worden. Morgens hatte er seine Zeit in Internetcafés nahe der Victoria Station verbracht (dem Computer in seiner Wohnung in der Denbigh Street vertraute er nicht), hatte jeden der Anschläge genauestens recherchiert und nach einer Verbindung zwischen einer Zelle in Südindien und einer Person beim MI6 gesucht, einem Kollegen mit Beziehung zum Subkontinent.
Jetzt hatte er eine solche Verbindung, doch leider bestand sie zwischen seinem Vater und Salim Dhar. Niemals war Marchant der Gedanke gekommen, dass sein Vater selbst durch sein Verhalten den Verdacht auf sich gelenkt haben könnte. Fielding hatte recht: Ein privates Treffen mit Dhar verstieß gegen die Vorschriften. Und während Leilas Whisky in seiner Kehle brannte, wurde Marchant plötzlich klar, dass auch er sich mit ihm treffen musste, wo immer der Mann sich aufhalten mochte. Er musste Dhar fragen, warum der Chef des MI6 das Risiko eingegangen war, ihn aufzusuchen. Das konnte natürlich für ihn katastrophale Konsequenzen nach sich ziehen, aber letztlich hatte er nicht mehr viel zu verlieren.
Während er aus dem Fenster über den Kanal hinweg zum Wald von Wiltshire schaute, erhob sich ein grauer
Reiher schwerfällig aus dem Wasser und stieg in die Luft auf. Sein Vater hatte immer gesagt, diese Vögel seien wie B-52s, er war besessen gewesen von Bombern. Während
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