Der Marathon-Killer: Thriller
laufen
konnte als seine Aufpasser, aber er wollte es herausfinden. Der Marathon lag fünf Tage zurück, und jetzt lief er zum ersten Mal wieder seit der Ankunft im sicheren Haus. Er wusste, so konnte er nicht ewig weitermachen: erst trinken und dann laufen, um die Schuldgefühle abzubauen. Eins von ihnen musste die Oberhand gewinnen. Die Babysitter vom MI6 waren gestern Abend durch stämmigere Kerle vom MI5 ersetzt worden. Die Atmosphäre war dementsprechend abgekühlt, und man redete kaum ein Wort miteinander.
Marchant war wegen des Wachwechsels nicht übermäßig beunruhigt. Im schlimmsten Fall, so nahm er an, würde man ihn wieder Wylie ausliefern, dem Mann, der ihn in Thames House vernommen hatte. Viel mehr bereitete ihm Leilas Schweigen Sorgen. Er hatte keine Möglichkeit, Kontakt mit jemandem draußen herzustellen. Im Haus gab es kein Telefon und keinen Computer mit Internetverbindung, und seine Aufpasser trugen ihre Handys fest am Gürtel.
An diesem Morgen wollte er herausfinden, wie lange die beiden vom MI5 ein Tempo von sechzehn Stundenkilometern durchhielten. Dazu wurde er nach und nach immer schneller. Sie waren nicht gerade versessen gewesen auf ein kleines Lauftraining, hatten sich jedoch dazu bereit erklärt, nachdem Marchant ihnen die exakte Strecke nach Wilton, einem nahen Dorf, auf der Karte gezeigt hatte. Marchant war gut gelaunt, ihn reizte der Gedanke, die beiden an ihre Grenzen zu bringen. Schon immer waren die Angehörigen des MI6 besser in Form gewesen als die Leute vom MI5, dessen muffige Sporthalle nicht mithalten konnte mit dem modernen Fitnessbereich im Keller
des MI6-Quartiers, wo man außer Sichtweite der Erbsenzähler von Whitehall schwitzen konnte.
Leider wurde die Sache nicht annähernd so unterhaltsam, wie Marchant gehofft hatte. Seine Muskeln brannten wie der Teufel. Und beide Männer vom MI5 reagierten mit nervenaufreibender Leichtigkeit auf seine Temposteigerung. Bald liefen sie wieder neben ihm.
»Mach keine Spielchen, Marathonmann«, sagte einer, kaum außer Atem.
Ohne zu antworten, zog Marchant das Tempo wieder an. Er verließ, wie abgesprochen, den Treidelpfad und lief schräg den Berg hinauf. Kurz vor der Hügelkuppe blickte er über die Schulter und entdeckte den vorderen Aufpasser, der sich unten am Hang quälte. Es sah aus, als wäre er ausgerutscht. Beflügelt, weil er zum ersten Mal seit Sonntag allein war, steigerte Marchant das Tempo nochmals.
Als er oben ankam, bemerkte er den schwarzen MD Explorer, der links hinter ihm über dem Feld schwebte. Marchant wurde ein wenig langsamer und schätzte die Situation ein. Im ersten Moment dachte er angesichts der gelben Aufschrift »Polizei« an der Seite, dass er zufällig in irgendeinen Einsatz gestolpert wäre. Doch Sekunden später, während die zwei Aufpasser wieder aufholten, schwebte der Helikopter nicht mehr über dem Feld, sondern verfolgte ihn.
Vor Marchant lag eine Weide. Bis zum Wald auf der anderen Seite waren es mindestens zweihundert Meter, trotzdem würde er es bis in die Sicherheit der Bäume schaffen können, wenn er richtig rannte. Er sah nach oben ins Gesicht des behelmten Piloten, der mit wespenhafter Gleichgültigkeit
auf ihn herunterschaute. Im selben Moment spürte er einen seiner Aufpasser an der Schulter. Er schüttelte ihn ab. Der Mann geriet fluchend ins Taumeln und blieb zurück, doch ehe Marchant davonsprinten konnte, hatte ihn der andere Aufpasser erreicht und zerrte ihn zu Boden.
Marchant kam es vor, als würden sie im Zeitlupentempo fallen, und er warf sich herum, sodass er auf dem anderen landete, als sie auf dem Boden auftrafen. Um ihn herum tanzten Grashalme und wurden vom Abwind des Helikopters platt gedrückt. Er packte den Mann an den Haaren und schlug seinen Kopf auf einen Feldstein, der auf der Erde lag. Einen Moment lang herrschte Stille. Marchant stand auf und begann zu rennen. Er wusste, dass der erste Mann ihm folgte und der Hubschrauber über ihm ebenfalls. Der Wald erschien ihm kilometerweit entfernt.
Zwanzig Meter vor den Bäumen begann Marchant, daran zu glauben, dass er es schaffen könnte. Sobald er das Wäldchen erreicht hätte, wäre der Hubschrauber nutzlos, vorausgesetzt, Marchant blieb im Schutz der Bäume. Aber den Aufpasser wäre er damit noch nicht los. Fünf Schritte vor dem Waldrand sah er einen Ast auf dem Boden, der sich mit Winterregen vollgesaugt hatte. Er machte einen Schritt zur Seite, hob ihn im Laufen auf und schwang den nassen Ast aus der vollen
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