Der Marathon-Killer: Thriller
Bewegung nach hinten. Als das Holz den Mann ins Gesicht traf und rücklings zu Boden warf, klang es so, als würden die Rotorblätter oben vor Missbilligung lauter dröhnen. Marchant sprintete in den dunklen Wald und bog seitlich durch die Bäume ab, wie ein Taschendieb auf der Straße, der seinen Verfolgern entkommen will.
Er war kaum dreißig Meter weit gelaufen, als sich der Wald zu einer kleinen Lichtung öffnete. Der Helikopter stieß auf das Stück Gras vor ihm herab und setzte gerade lange genug auf, damit zwei Männer herausspringen konnten. Marchant war erschöpft, dennoch drehte er sich um und lief in den Wald zurück, doch bald schleppte man ihn zum wartenden Hubschrauber, und der Geruch von Flugbenzin stieg ihm in die Nase.
Marchant schätzte, dass sie ungefähr fünfzehn Minuten in der Luft gewesen waren, ehe der Helikopter landete, was Fairford zum wahrscheinlichsten Ziel machte. Der Flughafen wurde von den Amerikanern betrieben, die neunzig Millionen Dollar ausgegeben hatten, um die Hauptlandebahn für B-2 Spirit Tarnkappenbomber und das Spaceshuttle zu verlängern. Er konnte nicht genauer feststellen, auf welchem Flughafen er sich befand, weil man ihm eine Haube über den Kopf gezogen hatte. Und man hatte ihm einen Kopfhörer aufgesetzt, sodass er auch aus Gesprächen aus dem Cockpit nichts schließen konnte. Seine Hände waren fest hinter dem Rücken gefesselt, und auch die Füße hatten sie zusammengebunden. Bislang war seine Lage allerdings nicht übermäßig unbequem.
Ansonsten ging es ihm so gut, wie es einem Menschen gehen konnte, dem eine »extraordinary rendition« der CIA bevorstand, eine »außerordentliche Auslieferung«, wie die illegale Überstellung von Terrorverdächtigen genannt wurde. Anders war seine Situation logisch nicht zu erklären angesichts der Tatsache, dass der MI5 oder der MI6 solche extremen Methoden bei ihren eigenen Leuten
nicht anwenden würden. Während des kurzen Flugs hatte er sich zusammengereimt, dass Fielding aus unverständlichen Gründen zugestimmt haben musste, dem MI5 die Schlüssel des sicheren Hauses in Wiltshire zu überlassen, und der hatte wiederum den Amerikanern gestattet, ihn zu einem Verhör mitzunehmen. Was ihm jetzt Bauchschmerzen bereitete, war der Gedanke an die physischen und psychischen Schmerzen, die ihm bevorstanden.
12
Der unbestrittene Weltmeister im Waterboarding hieß Khalid Scheich Mohammed. Marchant wusste das aus einer respektlosen E-Mail, die durch ein Leck in Langley nach London gelangt war. »KSM« (wie die CIA ihn nannte) war einer der Drahtzieher des 11. Septembers, des Bombenattentats auf den Nachtclub auf Bali und eines vereitelten Anschlags auf die Canary Wharf in London. Für sein Durchhaltevermögen bei dieser Prozedur hätte er eine Medaille verdient, doch die Nummer drei der Al-Kaida-Spitze musste sich mit dem widerwilligen Respekt seiner Folterknechte zufriedengeben. Zwei Minuten, dreißig Sekunden - das war die Zeit, die man gestoppt hatte, als er im März 2003 dem Scheinertränken unterzogen wurde. Bei zwei Minuten einunddreißig gab er schließlich auf, überzeugt davon, dass er ertrinken würde. Er schrie wie ein Baby und machte sich in die Windel. Und damit endete auch die E-Mail: Der Geruch des Sieges ist der Gestank der Exkremente.
Marchant wusste alles über Waterboarding, eine Verhörmethode, die schon von der Gestapo eingesetzt worden war und dank der CIA in den letzten Jahren ein Revival erlebt hatte, bis der neue Präsident dem Treiben ein Ende setzte. Das Wasser, das dabei auf Mund und Nase gegossen wird, erzeugt bei dem Opfer das Gefühl,
ertrinken zu müssen, und löst einen sofortigen, unkontrollierbaren Würgreflex aus. Weil die Füße jedoch höher liegen als der Kopf, kann das Wasser nicht in die Lungen fließen, was den Tod des Gefangenen ausschließt. Dieser Umstand war es, der Regierungen erlaubte, Waterboarding als »erweiterte Verhörmethode« einzustufen und nicht als Folter.
Marchant kannte auch die drei verschiedenen Stufen der Prozedur und die gnadenlose Botschaft, die dabei an das Gehirn geschickt wurde; er wusste, dass keinerlei äußerliche Spuren zurückblieben und dass ein akutes mentales Trauma auch noch nach Jahren urplötzlich ausgelöst werden konnte: durch das Geräusch einer Dusche, beim Abwaschen oder beim Blumengießen.
Die Verhörspezialisten hingegen hatten nicht die geringste Ahnung, dass Marchant den Rekord von KSM bei seinem Überlebenstraining im Fort gebrochen
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