Der Marathon-Killer: Thriller
hatte. Offiziell galt der natürlich nicht, denn schließlich war sich Marchant bewusst gewesen, dass es sich um eine Übung handelte, zumindest, bevor das Wasser zu laufen begann. KSM hatte hingegen geglaubt, er müsse sterben. Trotzdem waren zwei Minuten fünfzig eine Bestmarke, die genügte, um ihn zum Star des Forts zu machen. Wie man Marchant hinterher erzählte, hatte kein CIA-Agent, der die Technik an sich ausprobierte, es länger als vierzehn Sekunden ausgehalten.
Marchant scherzte gern, sein Durchhaltevermögen beim Waterboarding habe er bei seinem Eintritt in die Welt mitbekommen - es sei eine Wassergeburt gewesen. Seine Mutter hatte ihm erzählt, er sei mit offenen Augen geboren worden und habe sich umgeschaut wie ein erschrockener
Karpfen. Andere, auch Leila, glaubten, es habe mit seiner Kindheit in Indien zu tun: Yoga eben, der Triumph des Geistes über den Körper. Jetzt lag er im Dunkeln auf einem schrägen Metalltisch - den Kopf nach unten, die Füße an den Tisch gefesselt - und versuchte, sich an den Abend nach der Übung im Portsmouth Pub zu erinnern. Seine Stimme hatte eigenartig geklungen, weil das Wasser seine Nase noch verstopfte; Leilas Zartheit hinter ihrem kühlen Auftreten; ihr Zungenkuss, bei dem er zu ersticken glaubte.
Vermutlich war er jetzt in Polen, vielleicht auch in Rumänien. Die CIA hatte die Anweisung erhalten, die Black Sites, die geheimen Gefängnisse, zu schließen, doch in Langley hatte man es damit nicht eilig. Man wusste, wie schwer es den Bürokraten fallen würde, die Schließung solcher Einrichtungen nachzuprüfen, die offiziell nie existiert hatten. Nach der Landung des Hubschraubers hatte man ihn, noch immer mit der Haube über dem Kopf, über die Landebahn zu einem Flugzeug geführt, einer Gulfstream V, wie er vermutete. Der Flug, von feindlichen Kämpfern auch Guantanamo-Bay-Express genannt, hatte zwei Stunden gedauert, die Marchant in der Gefangenen-Klasse (inklusive Overall und Erwachsenenwindel) jedoch wie eine Ewigkeit erschienen waren.
Er hörte zwei Männer, die seine Zelle betraten und die Tür hinter sich schlossen. Waterboarding war vor allem eine mentale Geschichte, rief er sich ins Gedächtnis und ballte unwillkürlich die Hand zur Faust. Sie sagten nichts, überprüften die Handschellen, mit denen er fest an den Tisch gefesselt war, und zogen ihm die Baumwollhaube
tiefer über den Kopf. Gleich würden sie anfangen, gleichmäßig Wasser über die durchlässige Haube zu gießen.
Dann kam es, früher als erwartet, und Marchant versuchte instinktiv, den Kopf abzuwenden, aber der Mann links von ihm hielt sein Kinn fest, während der andere das Wasser über sein Gesicht und anschließend über Brust und Beine goss, bis der Overall durchnässt war. Er spürte, wie Panik in ihm aufstieg. Plötzlich war sein Zwillingsbruder da; er lag am Boden des Pools in Delhi und starrte ihn durch das klare Wasser an. Marchant schrie nach der Ayah , dem Kindermädchen, sprang hinein und versuchte den Arm seines Bruders zu packen. Sebastian, kaum sechs Jahre alt, starrte ihn an, sein Haar schwebte wie eine Seeanemone; er wusste nicht, dass er ertrinken würde.
Der Wasserfluss erfolgte konstant, stellte Marchant fest und bemühte sich, kontrolliert zu atmen. Das ließ darauf schließen, dass sie einen Schlauch und keine Kanne verwendeten, die Methode, die im Fort bevorzugt wurde. Er schrie erneut auf. Schrie die Vernehmer an, seine Mutter, die aus dem Haus gerannt kam, doch die nasse Baumwolle auf seinem Gesicht dämpfte die Rufe. Er fühlte, wie das Wasser durchsickerte, in seine Nase und in seinen Mund lief. Es war warm, so wie es im Handbuch verlangt wurde. Dies ist eine Übung, redete er sich ein. Die würden ihn nicht umbringen. Der neue Präsident würde das niemals erlauben.
»Wo ist Salim Dhar?«, schrie einer der Amerikaner und zerrte Marchants Kinn brutal in seine Richtung. Marchant war schockiert, wie jung die Stimme - mit dem Akzent des Mittelwestens - klang. »Sag uns, wo er ist, und dein Bruder wird es überleben.«
Marchant sagte nichts, wartete darauf, dass Sebastian zu atmen anfing, schaute zu, wie sich seine Mutter über den kleinen Körper beugte. »Geht es ihm gut?«, fragte er flehentlich. »Wird Sebbie wieder gesund?«
Der Vernehmer hielt ihm den Schlauch näher an den Mund. »Wo ist Salim Dhar?«, wiederholte er.
Warum fragten sie ihn das? Er war schließlich nicht sein Vater. Das Wasser floss durch die Haube. Marchant presste die Lippen leicht
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