Der Marathon-Killer: Thriller
gelbe Licht. Ihre Mutter erklärte ihr, der Vater habe schrecklich viel Arbeit und trinke dann manchmal zu viel Whisky, weil er hoffte, sich danach ein bisschen besser zu fühlen. Aber am Ende wurde er wütend, und wenn er wütend war, vergaß er sich und stellte dumme Sachen an.
In den folgenden Jahren lernten Leila und ihre Mutter, dem Vater aus dem Weg zu gehen, wenn er sich vergaß, doch Leila wusste, dass er seinen Whiskyrausch weiterhin an seiner Frau ausließ. Nicht einmal eine Burka konnte die geschwollenen blauen Augen verstecken. Weil ihr Vater viel arbeitete und auch viel reisen musste, hatte sie ihrer Mutter stets nähergestanden als ihm, doch die Gewalt verstärkte diesen Bund zusätzlich und vereinte sie in einer Mischung aus Scham und Solidarität. Diese Nacht und den Anblick ihrer weinenden Mutter hatte sie nie vergessen, und sie konnte es dem Vater nicht verzeihen. Sein Licht in ihrem Leben erlosch.
Jetzt lag sie auf dem nackten Boden ihres Zimmers in der Botschaft. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihre Seite der Abmachung zu erfüllen und zu hoffen, die Stimme am anderen Ende der Leitung in Teheran würde sich ebenfalls an ihr Wort halten. Aber bevor sie darüber nachdenken
konnte, was ihr dieser Deal einbringen könnte, wurde die Abendstille durch einen Donnerschlag erschüttert, bei dem es sich ganz gewiss nicht um Gewittergrollen handelte.
31
Marchant spürte das Gewicht eines Körpers auf sich liegen, aber er begriff nicht, dass es sich um Onkel K handelte, bis er versuchte, unter ihm hervorzukriechen. Überall um ihn herum regten sich Menschen auf dem Boden der Bar. In dieser düsteren Stille fühlte Marchant sich für einen Augenblick zurückversetzt auf den Marktplatz von Mogadischu. Aber dann begannen das Stöhnen und die Schmerzensschreie, und er erinnerte sich an die splitternden Scherben, die unberechenbar durch die Luft schossen, an den Luftdruck und an die schaurige Kakofonie des platzenden Glases.
»Onkel K, alles in Ordnung?«, fragte Marchant und versuchte, den süßen Geruch verbrannten Fleisches aus seiner Wahrnehmung zu verbannen. Diesen Geruch hasste er mehr als jeden anderen, diesen Geruch hatte er nie vergessen können. Auch jetzt, fünf Jahre danach, ergriffen sofort die bohrenden Gedanken von ihm Besitz: Hätte er diesen Mann an der Bar auf irgendeine Weise an seinem Vorhaben hindern können?
Er kniete neben Onkel K und untersuchte seinen eigenen Körper auf Verletzungen, während er sprach. Rasch legte er die Hand auf sein Gesicht und spürte warmes Blut. Er beugte sich über den Colonel. Das Gesicht des Mannes war unversehrt, die grauen hängenden Wangen
und der gespitzte Kirschenmund, doch der Unterkörper lag in einem für einen Siebzigjährigen unnatürlichen Winkel.
Marchant betrachtete den Schutt, die Lampen, die aus der Decke gerissen waren, die umgestürzten Tische und die zerfetzten Vorhänge. Ein Stück von sich entfernt sah er eine Plastikflasche mit Mineralwasser auf dem Boden. Er holte sie, schüttete dem Colonel ein paar Tropfen auf die staubigen Lippen und spuckte gleichzeitig selbst Sand aus. Langsam begannen sich die Lippen des Colonels zu bewegen. Marchant beugte sich tiefer und legte ihm eine Hand hinter den Kopf.
»Du musst gehen«, flüsterte der Colonel. »Sie werden versuchen, es dir in die Schuhe zu schieben.«
»Wer?«
Aber der Colonel verlor erneut das Bewusstsein. Marchant goss ihm Wasser über Lippen und Kinn. Blut lief aus dem Mundwinkel. Der Colonel schlug die Augen auf und hustete schwach.
»Du musst gehen«, drängte er. »Om Beach, in der Nähe von Gokarna. Frag nach...« Das nächste Wort ging in Blut und Speichel unter. »... Bruder Salim im Namaste Café.«
»Leila, Sie fahren zum Club hinüber und schlüpfen durch die Absperrung, vorausgesetzt, die Polizei von Delhi hat eine eingerichtet. Normalerweise herrscht bei solchen Gelegenheiten ein fürchterliches Gedrängel. Sie können vielleicht goldene Tempel bauen, aber ein Absperrband um einen Tatort ziehen? Ich bitte Sie!«
Höfliches Lachen ging durch den Raum, in dem Monk Johnson, der Leiter des Presidential Protective Detail, des
Kommandos zum Schutz des Präsidenten, die zehn Agenten von Secret Service und CIA instruierte. Hinter ihm zeigte ein großer Fernsehbildschirm Archivmaterial des Senders NDTV über den Gymkhana Club vor der Explosion. Kameras waren noch nicht bis zum Tatort vorgedrungen. Leila war versucht gewesen, sofort ins abendliche Delhi
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