Der Marathon-Killer: Thriller
aufzubrechen, als sie den Knall hörte, doch sie war Minuten später zu einer Sitzung gerufen worden. Die Dienststelle befand sich längst in Alarmbereitschaft: In zweiundsiebzig Stunden würde POTUS, wie der »President of the United States« protokollarisch genannt wurde, auf dem Luftwaffenstützpunkt von Palam landen, nur acht Kilometer von Delhi entfernt, um hier seine Vierländerreise durch Südasien zu beginnen.
»Ich habe gerade mit dem Direktor des Secret Service telefoniert«, fuhr Johnson fort. »Er sagt, POTUS hält an der Reise fest. Bestenfalls können wir uns daher ein wenig Zeit verschaffen: Es bestünde die Möglichkeit, den Besuch in Islamabad vorzuziehen, aber den Indern wird das nicht schmecken - sie wollen immer die Ersten sein. Sie haben ihre Atombombe vor den Pakistanern getestet, und sie werden alles daransetzen, dem neuen Präsidenten als Erste die Hand zu schütteln.«
»Sie nehmen also an, die Pakistanis stecken dahinter?«, fragte David Baldwin, der Leiter der CIA-Niederlassung in Delhi. Er saß hinter Leila.
»Eigentlich müssten Sie das wissen. Es ist zunächst einmal eine denkbare Erklärung. Der Gymkhana Club ist ein Überbleibsel aus Kolonialzeiten, in dem vor allem hohe Offiziere verkehren.«
»Ganz oben auf der Liste der Verdächtigen steht Salim
Dhar. General Casey wollte dem Club heute Abend einen Besuch abstatten, hat jedoch abgesagt.«
»Gott sei Dank«, meinte Johnson.
»Vivek?«, sagte Baldwin und ging nicht auf Johnson ein.
»Der genaue Aufenthaltsort von Dhar muss immer noch bestätigt werden, Sir«, sagte Vivek Kumar, »doch der Anschlag trägt seinen Stempel, besonders, wenn Casey das Ziel darstellte.«
Leila war Kumar vorgestellt worden, der ebenfalls ein Neuling war. Als einer der besten Analysten der CIA war er am Wochenanfang von Langley eingeflogen worden, da er mehr über Salim Dhar wusste als jeder andere. Er wusste auch alles über Daniel Marchant. Marchant, so behauptete er, habe Polen verlassen und halte sich bereits irgendwo in Indien auf.
»Großer Personenschaden unter Militärangehörigen plus eine amerikanische Zielperson«, fuhr Kumar fort. »Daniel Marchant können wir ebenfalls nicht ausschließen. Die Situation ist im Augenblick ziemlich kompliziert. Marchant ist aktuell Gegenstand einer verdeckten Level-fünf-Operation von Clandestine Europa.«
»Wem sagen Sie das?«, meinte Baldwin und schielte zu Leila hinüber. »In zehn Minuten spreche ich mit Alan Carter.«
»Gut, dann treffen wir uns in zwei Stunden wieder«, sagte Johnson. »Sofern nicht eine weitere Bombe hochgeht. Was ist eigentlich so schrecklich an Texas? Warum kann der Präsident nicht dorthin fahren und ein paar Hände schütteln?«
Marchant hatte keine Ahnung, vor wem er eigentlich floh, als er die Ruine der Bar durch ein großes zerbrochenes Fenster verließ. Sein Gefühl sagte ihm, er dürfe den Colonel nicht alleinlassen, doch die Dringlichkeit in seiner Stimme hatte ihn überzeugt.
Er taumelte benommen über den Rasen und warf einen Blick zurück auf das halbzerstörte Gebäude, dessen Gardinen wie zerfetzte Zungen aus den Fenstern wallten. Niemand konnte ihm die Schuld anhängen. Der Mann an der Rezeption des Gymkhana Clubs konnte bestätigen, dass er von einem respektierten indischen Colonel in die Bar geholt worden war. Onkel K war jedoch ein alter Freund seines Vaters. Außerdem reiste er unter dem Namen David Marlowe und nicht als Daniel Marchant. Onkel K hatte recht. Daniel befand sich auf der Flucht, und sobald man seine Anwesenheit im Club feststellen würde, wäre sein Name im Spiel. Wenn man ihm die Schuld am Marathon in die Schuhe schieben konnte, würde es ihnen hier genauso leicht gelingen.
Er dachte an den Blick, mit dem der Mann an der Bar ihn angesehen hatte. Der Kerl hatte ihm eindeutig in die Augen geschaut. Wer war er gewesen? Wer hatte ihn geschickt?
Marchant war durch ein unbewachtes Seitentor hinausgegangen und stand nun auf der Hauptstraße, doch der Verkehrslärm war nicht so laut, wie er hätte sein sollen. Einen der vorbeifahrenden Lastwagen hörte er kaum, und die Hupe wirkte seltsam gedämpft. Er schaute noch einmal zum Club zurück, von dem schwarzer Rauch in den Himmel über Delhi aufstieg. Eine Rikscha verlangsamte die Geschwindigkeit, und der Fahrer beäugte ihn mit einer
Mischung aus Hoffen und Wachsamkeit. Marchant stieg auf den Rücksitz und fragte nach Gokarna.
»Gokarna?«, wiederholte der Fahrer und grinste in den Rückspiegel,
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