Der Marktmacher
Augen, feucht schimmernd und halb verborgen hinter langen Wimpern. Plötzlich wandte sie sich mir zu und fing meinen Blick auf. Neuerlich zuckten ihre Mundwinkel, woraufhin ich hastig Carlos ansah.
»Alles verstanden?« fragte Jamie hinterher.
»Das nun gerade nicht. Ich muß noch ’ ne Menge lernen.«
»Zum Beispiel, wie man Isabel anstarrt, ohne daß einem die Kinnlade runterfällt«, konnte sich Jamie nicht verkne i fen.
»War es denn so auffällig?«
»Mach dir nichts draus. Das ist uns allen schon so gegangen. Mit der Zeit gewöhnt man sich an sie.«
»Sie hat was. Was soll ich sagen?«
»Sie ist verteufelt sexy. Das ist alles. Aber ich würde es mir an deiner Stelle nicht so anmerken lassen. Die Frau hat Haare auf den Zähnen.«
»Wirklich? Sie macht auf mich eigentlich einen sehr umgänglichen Eindruck.«
»Laß die Finger von ihr. Und auch die Augen. Ist besser so, glaube mir.«
Ich zuckte mit den Achseln und setzte mich an Jamies Schreibtisch. Noch nie hatte ich einen komplett ausgestatteten Tradertisch gesehen, und bei Dekker Ward benutzte man die modernsten Geräte, die gerade auf dem Markt waren. Jamie erklärte sie mir. Es gab fünf Bildschirme, die i n v erschiedenen Farben Nachrichten, Preise und Analysen präsentierten. Jamie schien eine unangenehme Vorliebe für Rosa entwickelt zu haben. Hinzu kamen noch eine Telefonanlage mit dreißig Leitungen, ein Ventilator, ein spanischenglisches Wörterbuch, zwei Bände des Bankers A l manac und ein kleiner Rugbyball aus Silber, der an ein a r gentinisches Turnier erinnerte. Eingerahmt wurde das Durcheinander von einer Collage aus selbstklebenden gelben Merkzetteln und durch einen Haufen wahllos verstre u ter Papiere.
»Okay, fangen wir mit ein paar grundlegenden Dingen an«, sagte Jamie, nachdem er mir gezeigt hatte, wie man die Rugby-Kommentare über den Bloomberg-Informationsdienst abrufen konnte. »Alle Leute in dieser Hälfte des Quadrats«, er machte eine entsprechende Geste mit dem Arm , » gehören zum Verkauf. Unsere Aufgabe ist es, mit Kunden zu reden, sie zu informieren, herauszufi n den, was sie wollen, und Bonds von ihnen zu kaufen oder an sie zu verkaufen. Die da drüben«, er zeigte auf die andere Hälfte des Schreibtischquadrats, »sind die Trader. Sie spekulieren mit Hunderten von verschiedenen Bonds. Wenn also einer unserer Kunden etwas kaufen oder ve r kaufen will, fragen wir einen der Trader nach dem Kurs. Er nennt uns einen Gel d- und einen Briefkurs. Den geben wir an unseren Kunden weiter, der entweder zum Geldkurs kauft oder zum Briefkurs verkauft. Theoretisch ist der Spread, der Unterschied zwischen An- und Verkaufspreis, unser Gewinn.«
Ich nickte. So weit, so gut.
»Die andere Möglichkeit, Geld zu machen, sind Neu -E missionen. Siehst du die Leute da drüben?« Er deutete auf einige Tische außerhalb des Quadrats. Dort bemerkte ich auch Isabel, die in einem Bündel Papiere blätterte. Jamie folgte meinem Blick und hüstelte. »Aber klar siehst du sie. Wir nennen sie die Kapitalmärkte. Ihre Aufgabe ist es, mit den potentiellen Emittenten Anleihen abzusprechen, die ihnen Geld zu möglichst niedrigen Zinsen beschaffen. Di e s ind aber, nebenbei bemerkt, meist ziemlich hoch. Es b e steht immer die Möglichkeit, daß eines dieser Länder zahlungsunfähig wird. Ohne entsprechende Gegenleistung sind die Anleger daher nicht bereit, ein Risiko einzug e hen.«
Während der nächsten zwei Stunden erklärte Jamie mir die Abläufe bei Dekker Ward. Ich hörte ihm aufmerksam zu und analysierte jede neue Information, um zu begreifen, wie sie zu dem paßte, was ich bis dahin gehört hatte, und um für die kommenden Ausführungen gewappnet zu sein.
Ich hörte mit, wenn er mit seinen Kunden sprach. Die Bandbreite war enorm: eine kleine französische Bank, eine englische Handelsbank, eine holländische Versicherungsgesellschaft, ein amerikanischer Investmentfonds.
Er sprach über Venezuela und die IWF-Verhandlungen. Er streute Gerüchte über ein künftiges Mexiko-Geschäft ein. Er plauderte über Fußball und Fernsehsendungen. Und dabei kaufte und verkaufte er Anleihen im Wert von mehreren Millionen Dollar, wobei er stets zu einem Preis ve r kaufte, der etwas höher lag als der Einstandswert. Viele dieser Abschlüsse wurden unter »DT« und einer Zahl verbucht. Jamie erklärte, daß es sich um Nummernkonten bei der Tochte r firma Dekker Trust auf den Cayman Islands handelte.
Unser Lunch bestand aus einem Sandwich mit exotischem
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