Der Marktmacher
Ziegenkäse und Salat sowie einer Cola, die ein Junge in Latzhose auf einem großen Tablett vorbeibrachte. Keine Notwendigkeit, den Schreibtisch zu verlassen. Und auch keine Zeit.
Die Gespräche folgten den Zeitzonen: Am späten Vormittag war Brasilien dran, am Nachmittag kamen der Rest des Kontinents und New York dazu, am Abend Kalifornien. Im Laufe des Tages zog das Tempo erheblich an: Viele der anderen Marktteilnehmer operierten von New York oder Miami aus. Unser Tag wurde einfach so ausgedehnt, daß er den ihren mit einschloß. Großenteils wurden die Gespräch e a uf spanisch abgewickelt, so daß ich nichts verstand. Ich mußte unbedingt Spanisch lernen.
Gegen sechs organisierte ich mir von Charlotte und ihrem Marktforschungsteam einen Stapel Berichte. Die politischen und wirtschaftlichen Analysen waren ausgezeic h net. Besonders beeindruckt war ich von den ebenso flapsigen wie pointierten Notizen, die den Vermerk »nur zum internen Gebrauch« trugen. Sie bedienten sich vor allem inoffizieller Quellen: Da wurden einheimische Banker, R e gierungsbeamte, New Yorker Spekulanten zitiert. Fasz i niert vertiefte ich mich in sie.
Am Schreibtisch neben mir saß Isabel. Sie schien sehr beschäftigt zu sein – arbeitete sich durch umfangreiche Stapel an Papieren hindurch, gab Notizen in ihren Computer ein, besprach am Telefon Dokumente in einer Sprache, die ich für Portugiesisch hielt. Ich versuchte, sie nicht a n zustarren, konnte aber nicht verhindern, daß mein Blick hin und wieder zu ihr hinüberwanderte. Teilweise lag ihr Gesicht im Schatten des dunklen Haars. Gelegentlich u n terbrach sie die Arbeit, biß sich auf die Unterlippe und starrte wie geistesabwesend in die Luft. Sie war einfach hinreißend. Jedesmal, wenn ich zu ihr hinübersah, e r haschte ich den Duft ihres Parfüms in der Luft oder den Klang ihrer Stimme am Telefon. Ich mußte hart um meine Ko n zentration kämpfen.
Als ich wieder einmal hinüberblickte, sah ich, daß ihre Augen prüfend auf mir ruhten.
»Sie sind ja mit Begeisterung bei der Sache«, sagte sie mit einem ironischen Lächeln.
»Ich habe einiges nachzuholen.«
»Es wird leichter für Sie werden, sobald Sie eine richtige Aufgabe haben. Woher kommen Sie? Wo waren Sie vo r her?«
»Letzte Woche habe ich noch Russisch gelehrt.«
Sie hob die Augenbrauen. »Tatsächlich? Und was hat Sie zu Dekker Ward verschlagen?«
»Ich brauchte den Job. Und Jamie war so nett, ein gutes Wort für mich einzulegen. Warum man mich tatsächlich genommen hat, geht über meine Vorstellungskraft.«
»Sie sind ein guter Freund von Jamie?«
»Ja, ein sehr guter Freund. Wir kennen uns seit zehn Jahren.«
Damit war das Gespräch für sie beendet. Sie wandte sich wieder dem Telefon zu und nahm den Hörer ab. Ich wußte nicht, ob ich etwas Falsches gesagt hatte.
Und dann klingelte mein eigenes Telefon.
Es waren die zwei aufeinanderfolgenden Klingelzeichen eines externen Anrufs, was ich merkwürdig fand, denn ich hatte noch niemandem meine Nummer gegeben.
Ich nahm den Hörer ab. »Dekker Ward«, sagte ich und versuchte den forschen Ton zu treffen, den ich den ganzen Tag über um mich herum vernommen hatte.
»Spreche ich mit Martin Beldecos?« ließ sich die Stimme einer Amerikanerin über eine internationale Leitung ve r nehmen.
Ich hatte noch nie von ihm gehört und blickte mich um. Fast alle waren schon gegangen, ausgenommen Ricardo, Pedro und Isabel. Meine Nachbarin war selbst in ein Tel e fonat vertieft, und Ricardo und Pedro waren viel zu weit entfernt, um sie fragen zu können.
»Im Augenblick ist er nicht an seinem Platz«, sagte ich . » Kann ich ihm etwas ausrichten?«
»Ja, ich bin Donald Winters Assistentin von der United Bank of Canada in Nassau. Ich soll Mr. Beldecos ein Fax senden. Hätten Sie wohl die Güte, mir seine Faxnummer zu geben?«
»Bleiben Sie einen Augenblick am Apparat«, sagte ich. Hinter mir stand in einiger Entfernung ein Faxgerät. Ich ging hinüber, notierte die Nummer und gab sie der Anr u ferin durch. Sie bedankte sich und legte auf.
Ich suchte das interne Telefonverzeichnis heraus und sa h u nter BELDECOS nach: MARTIN, 6417. Das war mein Apparat! Kein Wunder, daß der Anruf mich erreicht hatte. Offenbar hatte er früher an diesem Schreibtisch gesessen.
Das Faxgerät erwachte schnurrend zum Leben.
Ich ging zu ihm hin, entnahm ihm ein einzelnes Blatt und kehrte wieder an meinen Schreibtisch zurück. Es war an Martin Beldecos bei Dekker Ward adressiert. Laut Faxkopf
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