Der Marktmacher
von den Nachrichten aus Venezuela: Um fünf Punkte waren die Kurse gefallen. Doch aus informierten Kreisen verlautete, daß der Abbruch der Gespräche mit dem IWF vom greisen Präsidenten inszeniert war. Wir beschlossen, diese Information für uns zu behalten und die niedrigen Kurse dazu zu nutzen, uns in aller Stille einen Posten venezolanische Anleihen auf eigene Rechnung zu kaufen. Dann erst würden wir damit an die Öffentlichkeit gehen.
Nach dem Treffen schlenderten Jamie und ich an dessen Schreibtisch zurück.
Ich mußte noch immer an Daves Worte denken. »Glaubst du, daß dieser Beldecos von einem gekauften Ki l ler umgebracht worden ist?« fragte ich ihn.
Jamie schnaubte verächtlich. »Natürlich nicht. Dave hat zuviel Phantasie. Trotz schicker Frisur und italienischen Anzügen ist Miguel ein altes Klatschweib. Der arme Bursche ist von Hoteldieben umgebracht worden.« Er scha u derte . » Das wirklich Erschreckende ist, daß es jedem von uns hätte passieren können. Komm, laß uns an die Arbeit gehen.«
Gern hätte ich noch ein bißchen mehr über Martin Beldecos erfahren, doch wie Isabel schien Jamie keine Lust zu haben, über ihn zu sprechen. Und ich wollte nicht den Eindruck erwecken, mich übermäßig für so wenig erfreul i che Dinge zu interessieren. Schließlich hatte ich den Me n schen noch nicht einmal gekannt. Also ließ ich das Thema fallen.
Der Arbeitstag bei Dekker Ward begann.
Ich hörte aufmerksam zu. An diesem Morgen herrschte hektische Aktivität, eine Aktivität, die sich in den Geräuschen ausdrückte. Nicht unbedingt in dem Geräuschpegel, eher in der Vielfalt. Ich hörte das Gemurmel von einem Dutzend verschiedener Gespräche, einige auf englisch, einige auf spanisch, die scharfen Zurufe von Leuten, die Kollegen aufforderten, ans Telefon zu gehen, die kräc h zenden Kursansagen aus den Brokerlautsprechern der Tr a dertische und natürlich die Stakkato-Telefonate mit Kunden. Doch die Geräusche stammten nicht nur von Menschen, sondern auch von Apparaten. Die Computer und Bildschirme summten und surrten, hin und wieder unterbrochen von einem metallischen Klicken. Unterlegt war das alles vom fast unhörbaren Hintergrundgeräusch des großen Gebä u des. Konzentration und Erfahrung waren n ö tig, um alle diese verschiedenen Laute auseinanderzuha l ten und sich auf die unterschiedlichen Frequenzen einzustellen, wä h rend man mal diesem und mal jenem Gespräch lauschte.
Manchmal waren es auch keine Gespräche, sondern nackte Informationsübermittlung. So kurz wie möglich, ohne unverständlich zu werden.
»He, Pedro, wieviel nimmst du für die Argy Pars und Discos?«
»Sechsundfünfzigeinhalb für die Pars und siebenundsechzigdreiachtel für die Discos.«
»Er sagt, er kann die Discos für ein Viertel weniger kriegen.«
»Scheiße. Okay, sag ihm, ich geb sie ihm für siebenundsechzigeinviertel.«
»Zehn mal elf?«
»Ja.«
»Ist gebongt!«
So flogen die Bonds in dem kleinen Quadrat von Tisch zu Tisch und von dort aus rund um den Globus: Tokio, Zürich, Bahrain, Edinburgh, New York, Bermudas, Buenos Aires. Sogar mit der Investmentbank zehn Stockwerke u n ter uns tätigten wir eine Transaktion. Im Laufe des Tages flossen viele hundert Millionen Dollar auf und von den Dekker -W ard-Konten. Doch wenn am Abend die große Abrechnung kam, würde sich zeigen, daß ein paar Hu n derttausend mehr hereingekommen als hinausgegangen waren.
Ich begann allmählich zu verstehen, was vor sich ging. Bei der Investition auf diesen Märkten liegt das Kunststück darin, die Risiken einzuschätzen und zu vergleichen. Ist Brasilien riskanter als Mexiko? Wenn ja, wieviel riskanter? Wenn die mexikanischen Anleihen 10,25 Prozent abwe r fen, müssen dann die brasilianischen 11,25 Prozent bri n gen? Oder 11,5 Prozent? Oder mehr? Und wie wird sich diese Beziehung in Zukunft verändern?
Doch mit einem solchen Ländervergleich war es noch lange nicht getan. Jeder Emittent hatte verschiedene Anleihen im Umlauf: Brady-Bonds, die aus alten, umgeschuldeten Bankkrediten entstanden waren, Eurobonds, Anleihen, die von Regierungen, Staatsbanken und Privatbanken emittiert worden waren. Wie sie gehandelt wurden, hing von einer Mischung aus rationaler Analyse und den Launen verschiedener Anleger in aller Welt ab, die alle ihre e i genen Ansichten und Vorurteile hatten.
Gewiß würde es eine Zeitlang dauern, bis ich den völligen Durchblick hatte, aber ich war sicher, daß ich es scha f fen würde, und die Aussicht
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