Der Marktmacher
zu Fuß vom Bah n hof aus. Sechs Uhr war es, als ich dort ankam.
Den ganzen Weg über beschäftigten sich meine Gedanken mit dem Treffen. Ricardo hatte überzeugend gewirkt, als er jede Beteiligung an Isabels Entführung bestritten ha t te. Aber Ricardo war immer überzeugend. Vielleicht hatte Eduardo die Entführung auch ohne Ricardos Wissen veranlaßt. Möglicherweise würde Ricardo jetzt mit ihm spr e chen. Ihn dazu bewegen, Isabel am Leben zu lassen. Sie auf freien Fuß zu setzen.
Ich klammerte mich an jeden Strohhalm.
A n diesem Abend stopfte ich das Abendessen in zehn Minuten in mich hinein und murmelte etwas über Probleme mit meiner Dissertation. Dann ging ich nach oben und starrte Löcher in die Luft.
Luís und ich waren davon überzeugt, daß Zico um Mitternacht brasilianischer Zeit anrufen würde. Vier Uhr morgens in England. Vorher war an Schlaf nicht zu denken.
Gegen elf klopfte Kate an meine Tür. »Ich wollte nur gute Nacht sagen. Ich gehe jetzt ins Bett.«
»Gute Nacht.«
Sie setzte sich auf mein Bett. »Was hast du, Nick? Was ist los?«
»Nichts.«
»Natürlich. Da ist doch nicht nur die Übernahme. Da ist doch noch irgend etwas.«
Da brach es aus mir heraus. »Wenn ich in den nächsten fünf Stunden die Übernahme von Dekker Ward durch Bloomfield Weiss nicht irgendwie verhindern kann, wird Isabel sterben.«
»Aber ich dachte …«
»Daß sie tot ist? Nun, das ist die gute Nachricht: Sie lebt. Die schlechte Nachricht lautet, daß sie bald sterben wird«, murmelte ich bitter.
»Aber was kümmert die Entführer, ob Dekker Ward übernommen wird oder nicht?«
Ich berichtete ihr von meinem Verdacht gegenüber Ricardo und Eduardo.
Entsetzt lauschte sie. »Das kann ich einfach nicht glauben!«
»Hast du eine andere Erklärung?«
Kate überlegte und schüttelte den Kopf. »Also, was wirst du tun?«
»Warten, bis die Frist verstrichen ist.«
»Um Gottes willen! Ich nehme an, du hast schon mit Bloomfield Weiss gesprochen?«
Ich nickte.
»Und es interessiert sie nicht?«
Ich seufzte und nickte wieder.
»Was ist mit Ricardo?«
»Da war ich heute nachmittag. Er war sehr zugeknöpft. Er hat jede Beteiligung an der Entführung bestritten und hat mich stehenlassen.«
»Glaubst du ihm?«
Ich schüttelte den Kopf. »Du weißt, wie überzeugend R i cardo sein kann.«
»Oh.« Sie dachte einen Augenblick lang nach. »Was ist mit Andrew Kerton?«
Ich starrte sie irritiert an.
»Na ja, er muß einem Verkauf doch wahrscheinlich zustimmen«, sagte sie. »Hast du mit ihm gesprochen?«
»Himmel! Nein. Daran habe ich überhaupt nicht gedacht.« Dann überlegte ich. »Aber er wird doch kaum bereit sein, meinetwegen von dem Geschäft zurückzutreten, oder? Ich meine, daß ist seine einzige Chance, die Firma zu verkaufen.«
»Das weißt du erst, wenn du es versucht hast.«
Ich blickte auf die Uhr. Viertel nach elf. Nur noch knapp fünf Stunden bis zum Ende von Zicos Frist.
»Weißt du, wo er wohnt?« fragte Kate.
»Keine Ahnung. Aber du kannst im Telefonbuch nachsehen.«
»Ich wette, er steht nicht drin.« Er stand wirklich nicht im Telefonbuch.
»Vielleicht kennt Jamie seine Adresse«, sagte Kate. »Ich glaube, er war schon mal bei ihm.«
»Ich würde Jamie ungern da mit hineinziehen«, sagte ich.
»Ich glaube nicht, daß du eine andere Wahl hast.«
Jamie war in der Küche und trocknete das Geschirr ab . » Weißt du, wo Lord Kerton wohnt, Jamie?« fragte ich atemlos.
Er wandte sich um und sah uns überrascht an. »Warum willst du das wissen?«
»Komm schon, Jamie. Sag es uns!« bat Kate ihn.
»Irgendwo am Kensington Square, glaube ich. Die Nummer weiß ich nicht mehr.«
»Komm, Nick! Ich fahre dich.« s agte Kate.
Jamie stellte das Glas ab, das er gerade mit dem Geschirrtuch bearbeitet hatte und fragte: »Was geht hier e i gentlich vor?«
»Erzähl ’ ich dir später«, sagte Kate, während ich in ihrem Schlepptau das Haus verließ.
SECHSUNDZWANZIG
W ir brauchten eine Dreiviertelstunde. Kate gab Gas. Es war kaum noch Verkehr auf den Straßen. Der Kensington Square ist eine Ansammlung großer Häuser südlich der Kensington High Street. Wir hatten keine Ahnung, in welchem von ihnen Lord Kerton wohnte.
Auf dem Rücksitz von Kates Auto lag ein alter Umschlag. Ich nahm ihn, steckte das Autohandbuch hinein und suchte mir auf gut Glück eines der Häuser aus. Nachdem ich geklingelt hatte, dauerte es zwei Minuten, dann e r schien ein grauhaariger Mann in einem alten Morgenrock an der
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