Der Marktmacher
Mädchen in Shorts und Bikinioberteilen. Die Mädchen, denen ich gestern abend bei meinem Spaziergang an der Copacabana begegnet war, hatten wie H u ren ausgesehen. Diese hier sahen wie Schulmädchen aus, die sich für einen lustigen Tag am Strand verabredeten. In Ip a nema gab es Sonne, Meer, Sand und Geld.
Doch am Ende des Strandes hinter einem kastenförmigen Hotel sah ich eine Ansammlung winziger Hütten, kle i ner quadratischer Kisten, die am Berghang klebten und aussahen, als würden sie jeden Augenblick ins Meer stü r zen. Sie standen dicht an dicht und sahen behelfsmäßig aus: Keine Kante war wirklich gerade, kein Gebäude ganz vollständig. Eine F avela.
»Es ist schon sehr merkwürdig, die beiden Extreme so dicht zusammenzusehen«, sagte ich. »Reich und arm. Das ist fast obszön.«
»Es ist obszön«, erwiderte Isabel.
Wir bogen in eine Seitenstraße ein und hielten vor einem schmiedeeisernen Tor, das mit einer kleinen Videokamera und einem elektronischen Kombinationsschloß versehen war. Über uns erhob sich ein sandfarbenes Apartmenthaus. Surrend öffnete sich das Doppeltor, und das Taxi fuhr uns bis zur schwarzen Rauchglastür.
Als wir in die kühle Vorhalle traten, wurde Isabel von dem Portier in Livree lächelnd begrüßt. Auch der Boy, der uns zu einem holzgetäfelten Fahrstuhl führte, trug Livree. Im fünfzehnten Stock öffneten sich die Lifttüren, und wir betraten eine Diele.
»Isabel!« rief eine tiefe Stimme. Ein hochgewachsener Mann mittleren Alters, der sich leicht gebeugt hielt, erwartete uns. Er breitete die Arme aus.
» Papai «, sagte sie und umarmte ihn.
Isabels Vater hatte ihre lange romanische Nase, die bei ihm sehr vornehm aussah. Über seine halbkreisförmigen Brillengläser sah er mich an.
»Ich bin Luís . Willkommen.« Er gab mir die Hand und lächelte. Sehr groß war er. Trotz seiner gebeugten Haltung mußte ich zu ihm aufsehen, und ich bin fast einsneunzig groß. Sein Haar war noch schwarz, begann sich aber zu lichten. Er hatte ein sehr freundliches Gesicht, in dem die viele Sonne und das Lachen kleine Fältchen hinterlassen hatten . » Kommt weiter, kommt weiter.«
Er führte uns in ein großes Wohnzimmer. Die Möbel waren niedrig und entweder aus dunklem Holz oder Bambus. An den Wänden hingen große Bilder mit hellen, kräftigen Farben. Durch großflächige Fenster, die auf einen Balkon rührten, flutete das Sonnenlicht herein. Dahinter erstreckte sich leuchtend blau das Meer.
Plötzlich waren in der Diele hinter uns schnelle, schwere Schritte zu hören. »Isabel!« ertönte eine heisere Stimme, und eine dicke Schwarze in dunkler Uniform und Schürze polterte ins Zimmer. Schwer atmend von der ungewohnt raschen Bewegung, griff sie sich Isabel und küßte sie schmatzend auf beide Wangen. Isabel strahlte und sprach hastig auf die dicke Frau ein. Unter viel Lachen tauschten sie sich auf das Lebhafteste aus, und dann wurde die Frau meiner ansichtig. Eine geflüsterte Bemerkung von ihr ließ Isabel erröten, die sich abwandte und ihr spielerisch auf die Schulter schlug.
»Seit meiner frühesten Kindheit ist Maria mein Kindermädchen«, sagte Isabel. »Sie glaubt noch immer, daß sie mir sagen kann, was ich zu tun und zu lassen habe.«
Ich reichte Maria die Hand. » Tudo bem? « sagte ich und mobilisierte damit fünfzig Prozent meines portugiesischen Wortschatzes. Ihr Grinsen wurde noch breiter, und sie überschüttete mich mit einem portugiesischen Wortschwall. Ich begnügte mich mit » Obrigado « – Danke – als Antwort, was sie regelrecht in Ekstase versetzte.
Luís hatte das Ganze amüsiert mit angesehen. »Möchten Sie etwas zu trinken? Haben Sie schon mal eine Caip i rinha probiert?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Dann ist es höchste Zeit.« Er richtete ein paar Worte an das Mädchen, das an der Tür wartete und daraufhin ve r schwand.
Luís führte uns auf den Balkon. Obwohl der Tisch und die Stühle im Schatten standen, blendete mich der Glanz der Mittagssonne, der von den weißen Wänden der benachbarten Gebäude reflektiert wurde. Über sie hinweg blickten wir auf die Bucht von Ipanema, ihr erstaunliches Blau, das von dem kräftigen Grün vieler kleiner Inseln g e punktet wurde. Bunte tropische Blumen wucherten aus den Kübeln auf der Terrasse, und eingerahmt wurde der Blick durch eine Bougainvillea, die in voller purpurner Blüte stand. Eine leichte Brise trug uns die murmelnden Geräusche von Verkehr, Meer und Menschen zu. Direkt unter un s l agen
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