Der Marktmacher
Gegenwart brachte mich aus dem Gleichgewicht. Sie brauchte gar nichts anderes zu tun, als einfach nur neben mir zu sitzen und in einer Zei t schrift zu blättern, und schon war es um meinen Seelenfrieden g e schehen. Die Art und Weise, wie sie sich beim Lesen auf die Lippen biß, wie ihr Haar auf den elegant geschwungenen Hals fiel, wie sich die Kontur ihres Schlüsselbeins über dem leichten Sommerkleid abzeichnete – das war genug, mehr als genug.
Ich hatte eigentlich von mir angenommen, daß ich eine gewisse Übung darin hätte, hübsche Frauen zu ignorieren , sofern es erforderlich war. Ich hatte schon eine Menge eifriger Studentinnen unterrichtet, die in Liebe zu einer wunderbaren Literatur entbrannt waren und dieses Gefühl nur allzugern auf den Mann übertrugen, der sie mit ihr b e kannt machte. Heute sind in der akademischen Welt B e ziehungen zwischen Dozenten und Studenten jedoch ä u ßerst verpönt, und so war es mir mit Erfolg gelungen, jegliches I n teresse an diesen jungen Mädchen zu unterdrücken.
Im Flugzeug hatte ich versucht, mit Isabel ins Gespräch zu kommen. Sie war nicht eigentlich unfreundlich gew e sen, aber auch nicht gerade gesprächig. Ihre Zurückg e nommenheit hatte jede Unterhaltung schon im Keim erstickt, wodurch sie mir um so anziehender erschien, sofern das überhaupt noch möglich war. Alles wäre viel leichter für mich gewesen, wenn sie gesagt hätte: »Halten Sie en d lich den Mund, und lassen Sie mich in Ruhe.« Schließlich hatte ich es aufgegeben und mich während der Nacht in die Lektüre von Rentenmarktberichten vertieft, bis endlich in der Morgendämmerung die nördlichen Vorstädte von Rio de Janeiro aufgetaucht waren.
Nach ein paar Minuten hielt das Taxi vor dem Copacabana Palace, das in einer Zeile gesichtsloser Hotels und Apartmenthäuser gegenüber dem berühmten Strand gle i chen Namens lag. Es war ein niedriges, weißes Gebäude, dessen elegante Art-déco-Fassade an seine Blütezeit in den dreißiger Jahren erinnerte, als sich hier die Schönen und die Reichen ein Stelldichein gaben. Fred Astaire und Ginger Rogers hatten hier getanzt, so hatte ich gelesen, Noël Coward und Eva Peron dem Glücksspiel gefrönt. Als unser Taxi zum Stehen kam, öffnete ein Mann in perfekt sitze n der weißer Uniform die Tür, während ein anderer sich u n seres Gepäcks annahm. Nachdem wir eingecheckt hatten, wu r den wir durch einen Innenhof mit einem Swimmingpool geführt, dessen Wasser vor den blendend weißen Hote l mauern in kühlem Blau erstrahlte. Eine einzelne Schwi m meri n z og einsam ihre Bahn. Im Schatten eines auslade n den, breitblättrigen Baumes tranken zwei Banker und ein Touristenehepaar mittleren Alters Kaffee. Ehrlich gesta n den, ich war tief beeindruckt. Gewiß, ich reiste nicht zum erstenmal; ich hatte Indien, Thailand, Marokko b e reist, war aber nie in einer Unterkunft abgestiegen, die mich mehr als zwanzig Pfund pro Nacht gekostet hatte. Damit ließ sich die Übernachtung im Copacabana Palace ganz offenkundig nicht bestreiten. Isabel, die das Hotel n a türlich kannte, ging schnellen Schrittes an der ganzen Pracht vorbei.
Oben in meinem Zimmer angekommen, holte ich mir ein kühles Bier aus der Minibar und trat auf den Balkon hinaus. Unter mir lag der Pool, und dahinter, jenseits des friedlichen Atriums des Hotels und des nicht abreißenden Verkehrsstroms auf der Avenida Atlântica, entfaltete sich das bunte Strandleben der Copacabana. Am Rande der Sandfläche bewegte sich eine Gruppe gesundheitsbewußter Spaziergänger, die gelegentlich innehielt, um ein paar rhythmische Gymnastikübungen auszuführen. Der Strand selbst war regelrecht mit braunen und schwarzen Körpern übersät. Es war ein Strand, an dem ein geschäftiges Tre i ben herrschte: Man spielte Volleyball oder Fußball, ve r kaufte Eiskrem oder lustige Hüte, ging herum oder saß da und beobachtete das Treiben. Und dahinter begann das Meer, ein sanftes, blaues Wogen, das erst ein paar Meter vor dem Strand in eine weiße Brandung zerstäubte, um hübsch und dekorativ auf dem bleichen Sand auszulaufen.
Ich befreite mich von Jackett und Schlips, nahm einen Schluck kühlen Bieres, schloß die Augen und hielt das G e sicht in die laue Wärme des Spätnachmittags. Die sich überlagernden Geräusche von Verkehr und Wellen übten eine beruhigende Wirkung auf mich aus. Ich begann mich zu entspannen.
Langsam brachten meine Gedanken Ordnung in das Durcheinander der letzten Tage: die erste Woche bei Dekke
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