Der Marktmacher
entdeckt. Der Knecht hat überlebt, doch der Kaufmann war gestorben.«
Isabels große, dunkle Augen hingen an meinen Lippen . » Die Geschichte ist sehr schön.«
»Sie bringt Tolstois Überzeugungen hinsichtlich der Verpflichtungen des Adels zum Ausdruck«, sagte ich.
»Wir Brasilianer täten gut daran, uns das ebenfalls zu eigen zu machen«, sagte Luís .
»Leider haben sie auch zu viele Zeitgenossen Tolstois mißachtet. Vierzig Jahre später kam die Revolution.«
»Hier wird es keine Revolution geben. Nur Anarchie, Gewalt und Armut.«
»Hat Ihnen Isabel erzählt, was wir hier machen?« fragte ich.
Isabel wirkte peinlich berührt.
»Von meiner Tochter höre ich nicht viel über ihre Arbeit«, sagte er. »Ihre und meine Bank sind häufig Konku r renten, von daher ist es wohl auch gut so.«
Ich war mir nicht sicher, ob es sich hier wirklich um ein Geschäftsgeheimnis handelte, daher sah ich Isabel an. Sie zuckte mit den Achseln. Also berichtete ich ihm von dem Favela -Deal. Aufmerksam hörte er zu und sah hin und wieder zu Isabel hinüber, die seinen Blicken auswich.
Nachdem ich geendet hatte, schwieg er einen Augenblick. Schließlich fragte er: »Was habt ihr gesagt, wann werden die Anleihen ausgegeben?«
»Wir hoffen, in zwei Wochen«, antwortete Isabel.
»Na, dann sagt euren Leuten, sie sollen mich anrufen. Ich möchte unbedingt, daß die Bank ein paar kauft.«
»Aber Papai, du machst doch nie Geschäfte mit Dekker Ward!«
»Stimmt, aber das hier ist etwas andres. Ich denke, die Banco Horizonte muß solche Initiativen unbedingt unterstützen.«
Isabel blieb der Mund offenstehen.
»Mach nicht ein so erschrecktes Gesicht, mein Liebling.«
»Du machst das doch nicht, Papai, um mir einen Gefallen zu tun, oder?«
»Quatsch. Es ist eine gute Idee, die man unterstützen muß. Ich freue mich, daß du so gute Arbeit leistest. Ah, da kommt das Essen.«
Wir setzten uns zu Tisch. Das Mädchen hatte Steaks und Salat gebracht. Das Fleisch war zart und hatte einen ausgezeichneten Geschmack, ganz anders als sein britisches Pendant. Der Salat bestand aus einer Fülle exotischer Pflanzen, die ich noch nie gesehen hatte. Er sah sehr app e titlich aus.
Anfänglich herrschte Schweigen, während wir dem Essen zusprachen. Luís ergriff schließlich die Initiative. »Ich habe nachgedacht, Isabel. Hättest du nicht Lust, bei mir in der Bank zu arbeiten?«
Beunruhigt blickte Isabel zuerst mich an und dann ihren Vater. »Um was genau zu tun?«
»Ich weiß nicht, aber ich bin sicher, daß wir etwas für dich finden würden. Du hast jetzt viel Erfahrung. Du könntest uns bestimmt sehr nützlich sein.«
»Papai …«
»Es wäre gut für dich. Du könntest wieder nach Rio kommen. Seßhaft werden …«
»Papai!« Isabel warf mir einen kurzen Blick zu und kehrte dann wieder zu ihrem Vater zurück, um ihn mit einem wütenden Redeschwall in Portugiesisch zu überschü t ten. Luís versuchte zu protestieren, kam aber nicht zu Wort. Schließlich verfielen sie beide in tiefes Schweigen.
Langsam und sehr konzentriert bearbeitete ich mein Steak. Luís wandte sich an mich. »Ich muß mich für meine Tochter entschuldigen …«
»Machen Sie sich deshalb keine Gedanken«, sagte ich . » Wozu hat man Familienangehörige, wenn man nicht hin und wieder eine etwas lebhaftere Diskussion mit ihnen führen kann. Ich habe mich gefragt«, fuhr ich rasch fort, »ob ich nicht vielleicht einmal eine Favela sehen kann.«
Ich sagte es zwar vor allem, um das Schweigen zu brechen und um der Situation die Spannung zu nehmen, aber ich war schon sehr interessiert an diesen Vierteln, von d e nen ich schon so viel gehört, die ich aber noch nie wirklich zu Gesicht bekommen hatte.
»Ihr könntet Cordelia besuchen«, sagte Luís .
Isabel schmollte noch, riß sich aber zusammen. »Ja, das könnten wir machen, wenn Sie Lust dazu haben.«
Ich hüstelte. »Sehr schön«, sagte ich. »Wer ist Cordelia?«
»Oh, Cordelia ist meine Schwester. Sie leitet einen Hort für Straßenkinder in einer der Favelas . Ich glaube, sie hat heute nachmittag Dienst. Wir könnten nach dem Mittage s sen hingehen.«
»Gern«, sagte ich.
»Übrigens, Cordelia hat höchst erfreuliche Neuigkeiten zu berichten«, sagte Luís zu Isabel.
Isabel überlegte einen Augenblick und blickte dann ihren Vater an. »Sie ist doch nicht etwa schwanger?« In i h ren Mundwinkeln arbeitete es.
Luís zuckte mit den Achseln, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken. »Das mußt du sie
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