Der Marktmacher
Ordnung«, ich trank aus. Dann verließen wir den Pub, Jamie, um ein Taxi herbeizurufen, ich, um die nächste U-Bahn-Station aufzusuchen. Das Fahrrad hatte ich am Canary Wharf zurückgelassen.
D er nächste Tag war grau und kalt, denn der Frühling legte eine Pause ein. Hoch oben im Canary Wharf Tower wurde der Börsensaal von Dekker Ward gegen eine dunkle Wo l kendecke gequetscht, die nur ein paar Meter darüber lag. Die Euphorie nach dem Sieg über Bloomfield Weiss in der Brady-Schlacht hatte sich schnell verflüchtigt, als die De k ker -Ward-Leute wieder von der Wirklichkeit auf den B o den der Tatsachen geholt wurden, der da hieß, mexikan i sche Bonds im Wert von zwei Milliarden Dollar zu verka u fen. Nun galt es, jeden anzurufen, der einem noch eine Gefälligkeit schuldete.
Ich beobachtete Jamie bei der Arbeit. Er war wirklich gut. Zunächst nahm er sich seine besten Kunden vor. Auf jeden ging er ein. Mit einigen unterhielt er sich über Fußball und Fernsehen, mit anderen über modifizierte Lau f zeiten und Nullkuponanleihen. Manchmal redete er unu n terbrochen, manchmal hörte er einfach nur zu. Und von jedem erschwatzte, erbettelte, erbluffte er sich einen Auftrag. Doch so stattlich die Aufträge auch waren – zehn oder zwanzig Millionen in einigen Fällen –, sie waren nicht groß genug. Es bedurfte eines Wunders und einiger Hu n dert-Millionen -A ufträge, um Bonds für zwei Milliarden Dollar an den Mann zu bringen.
Auch Ricardo hing pausenlos am Telefon. Die wirklich großen Aufträge waren nur zu bekommen, wenn man die wirklich großen Gefälligkeiten einforderte, und das konnte nur Ricardo. Hin und wieder stand er auf, lief durch de n S aal und erkundigte sich nach dem Stand der Dinge. Obwohl er genauso unter Druck stand wie wir alle, baute er uns auf, lobte hier eine Fünf-Millionen-Order, die einem schwierigen Kunden abgerungen worden war, oder bedauerte dort jemanden, dem ein Kunde vom Haken gegangen war. Wir saßen alle in einem Boot; unser Engagement setzte er als selbstverständlich voraus.
Aber Ricardo war in der Lage, sich mit mehr als einem Problem gleichzeitig auseinanderzusetzen. An diesem Nachmittag klopfte er mir auf die Schulter, als ich an Jamies Schreibtisch hockte und meinem Freund zuhörte. »Wieviel wissen Sie über Polen?«
»Nicht viel. Ich bin einmal dort gewesen. An der Universität Krakau.«
»Für wie wahrscheinlich halten Sie eine Abwertung?«
Ehrlichkeit war immer die beste Strategie bei Ricardo . » Ich habe keine Ahnung.«
»Kennen Sie jemanden, der eine Ahnung haben könnte? Oder mehr als nur eine Ahnung?«
Ich dachte einen Augenblick nach. »Zufällig ja. Einen Wirtschaftswissenschaftler an der London School of Economics. Der polnische Finanzminister hat vor fünfzehn Jahren bei ihm studiert. Ich weiß, daß sie noch Kontakt halten. Ich könnte mit ihm reden. Allerdings müßte ich eine Flasche Wodka mit ihm leeren, um es herauszufi n den.«
»Ausgezeichnet«, sagte Ricardo. »Trinken Sie den Wodka literweise und setzen Sie ihn auf Ihre Spesenrechnung.«
FÜNFZEHN
W ojtek freute sich sehr über meinen Anruf und lud mich sofort zum Abendessen ein. Ich hatte ihn kennengelernt, als ich mich im Studium mit der Wirtschaft der Sowjetunion beschäftigte. Durch ihn war ich nach Krakau gekommen. Seit langem kritisierte er die Planwirtschaft in Osteuropa und hatte eine stattliche Anhängerschaft im e i genen Lande. Ich erzählte ihm, daß ich jetzt in der City arbeitete und Informationen über die polnische Wir t schaftspolitik brauchte.
Mit einer Flasche Grasóvka, die mit dem Büffelgras, se i nem Lieblingswodka, machte ich mich auf den Weg zu se i ner Wohnung in Ealing.
»Herrlich!« sagte er. »Hereinspaziert! Hereinspaziert!«
Die Wohnung war unverändert. An den Wandflächen, die nicht mit Büchern bedeckt waren, hingen Poster, die obskure polnische, russische und französische Ausstellungen ankündigten. Ich war mir sicher, daß er sie ausgesucht hatte, um Eindruck zu schinden, und nicht, weil ihn die Ausstellungen interessierten. In einer schwachen, alkoholseligen Stunde hatte mir Wojtek einmal anvertraut, daß Harry und Sally sein Lieblingsfilm sei. Doch ich hatte absolutes Stillschweigen darüber schwören müssen. Filmpl a kate oder dergleichen waren nirgends zu entdecken.
Obwohl Wojtek Ende vierzig war, tat er alles, um wie ein jugendlicher Bürgerschreck auszusehen. Er trug einen dichten schwarzen Schnurrbart, hatte das buschige, zottelige Haar, das
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