Der Marktmacher
ihren Visa. Da steckt nicht zufällig Ricardo d a hinter?«
Jamie verschluckte sich an seinem Bier.
»Also doch?«
»Weiß ich nicht«, sagte Jamie. »Ich kann nur sagen, es geschieht ihnen recht.«
Stephen hob die Augenbrauen und wandte sich wieder mir zu. »Sag mal, Nick, wie ist dieser Ricardo Ross eigentlich wirklich?«
Eine gute Frage. Seit der ersten Begegnung mit ihm hatte ich mich das selbst immer wieder gefragt. Ich entschloß mich zu einer ehrlichen Antwort. »Ich weiß es nicht.«
»Er hat einen exzellenten Ruf. Du weißt schon, daß er der Marketmaker ist und so. Ist er wirklich so gut?«
»Oh ja, er ist gut. Und er springt mit dem Markt um, als gehöre er ihm. Deshalb ist er auch so sauer, wenn ihr euch da einmischt. Er hat einen sicheren Blick und weiß stets, was zu tun ist, wenn Probleme auftauchen. Oder siehst du das anders?« Ich wandte mich an Jamie, der mich intere s siert beobachtete.
»Ganz und gar nicht«, sagte er. »Er ist sicherlich der gerissenste Spekulant in der City.«
Stephen fixierte mich. Seine blauen Augen waren ein bißchen wäßrig, aber nicht dumm. »Wenn er so gut ist, warum sagst du dann, daß du ihn nicht einschätzen kannst? Was stimmt nicht mit ihm?«
»Ich weiß nicht so recht. Vielleicht ist er ein bißchen zu aggressiv. Manchmal frage ich mich, ob er nicht zu weit geht, doch hinterher stellt sich immer heraus, daß er die Situation genau richtig eingeschätzt hat.«
Stephen klopfte mir auf die Schulter. »Ganz ehrlich, man kann in diesem Geschäft kaum zu weit gehen – solange man sich nicht erwischen läßt.« Er stellte sein Glas auf einem Sims in der Nähe ab. »Ich muß jetzt gehen. War nett, euch beiden mal wieder zu sehen. Ciao! «
» Ciao , Stephen!« sagte Jamie. Stephen ging, während Jamie und ich uns noch ein Glas genehmigten.
»Blödmann!« sagte Jamie.
»Warum triffst du dich dann mit ihm?«
»Er ist nicht immer so eklig. Und er ist intelligent. Ich bleibe gern mit ihm in Kontakt. Wer weiß, wozu das Ende noch einmal gut ist.«
»Aber er ist ein Spießer mit Glatze, Frau und Kind.«
»Ich habe auch Frau und Kind.«
»Jamie, du bist ein Kind. Und du siehst nicht aus wie vierzig.«
»Es ist komisch, älter zu werden«, sagte Jamie. »Ich me i ne, ich spüre das hin und wieder doch schon. Ich habe eine Riesenhypothek am Hals. Ich muß für Frau und Kind so r gen. Und ich muß meinen Beruf ernst nehmen. Die Dinge haben sich ganz schön verändert.«
»Das haben sie wohl.«
»Was auch immer passieren sollte, ich möchte auf keinen Fall werden wie meine Eltern.«
»Warum nicht? Die sind doch nett.«
Jamie schnaubte verächtlich. »Sie mögen ja nett sein, vor allem aber sind sie abgebrannt. Mein Großvater war ein Großgrundbesitzer. Und mein Vater fährt jetzt Taxi. Wenn ich die glorreiche Familientradition fortsetze, hat Oliver eine Laufbahn bei McDonald ’ s vor sich.«
»Du wirst trotzdem nach deinem Vater schlagen. Du bist genau wie er. Du kannst gar nichts dagegen tun.« Es sollte eigentlich ein Scherz sein, aber Jamie warf mir einen finsteren Blick zu.
»Ich meine es ernst. Es ist höchste Zeit, daß jemand in unserer Familie wieder zu Geld kommt.«
Im Laufe der Zeit war ich öfter bei Jamies Eltern zu Besuch gewesen. Immer hatten sie mir das Gefühl gegeben, als Jamies intellektueller Freund aus Oxford willkommen zu sein. Die ersten beiden Male war es in einem alten Gutshof gewesen, dem ein Reitstall angeschlossen war. Kurz nachdem Jamie Oxford verlassen hatte, mußten sie den Reitstal l a ufgeben, und jetzt lebten sie in einem kle i nen Gartenhaus, das an der herrschaftlichen Auffahrt a n derer Leute lag.
Jamies Großvater hatte ein kleines Gut am Fuße der Quantocks besessen. Das, was die Steuer davon übriggelassen hatte, wurde noch immer von einem Onkel bewir t schaftet. Jamies Vater hatte versucht, mit Pferden Geld zu verdienen, war aber gescheitert. Zwar machte Jamie mir gegenüber kein Geheimnis daraus, daß sein Vater Taxi fuhr, doch ich durfte es auf keinen Fall erwähnen, schon gar nicht ihm gegenüber.
Ungeachtet des vergangenen Glanzes und aller Zukunftssorgen begegneten mir Jamies Eltern stets mit der gleichen herzlichen Gastfreundschaft. Sein Vater war der alte Schwerenöter, der Jamie eines Tages werden würde, mit gewinnendem Lächeln, zerfurchten Gesichtszügen und lustigem Zwinkern in den Augen. Seine Mutter war groß und immer noch eine Schönheit. Sie hatte nichts von i h rem Charme verloren. Jamie war beider
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