Der Marktmacher
kurz vor der Drei-Millionen-Grenze zu beenden.«
»Mir scheint der Abstand zwischen fünfzig Millionen und einer Million denn doch reichlich groß zu sein«, meinte Luís zweifelnd.
»Glauben Sie mir, eine Million Dollar ist ein großzügiges erstes Angebot bei einer Entführung.«
Wir glaubten ihm. Zico rief am Donnerstag abend an. Auf die eine Million, die Luís bot, reagierte er mit Verachtung. Er wisse, sagte er, daß Luís die Banco Horizonte g e höre. Luís erklärte ihm, daß er nur Anteile besitze und daß er diese nicht verkaufen könne. Er machte seine Sache sehr gut. Zunächst klang er sehr beherrscht und zeigte dann aber im Fortgang des Gesprächs mehr Emotion. Seine Behauptung, daß er nicht mehr als eine Million aufbringen könne, klang glaubhaft, wie ich fand.
Wir ließen das Band zurücklaufen und hörten uns das Gespräch noch einmal an. Zicos Stimme faszinierte mich. Ruhig, beherrscht, kaltblütig und intelligent. Die üblichen Drohungen, die er, Isabel betreffend, ausstieß, waren frei von der stumpfsinnigen Gewalttätigkeit des ersten Anrufers, des Trittbrettfahrers. Aber Zicos Kaltblütigkeit wirkte nicht weniger gefährlich. Er würde Isabel nicht töten, s o lange er keinen Vorteil darin sah. Aber wenn er Vorteile darin sah …
Dann kam die Polizei. Sie nahm das Band mit, auf dem sich Zicos Anruf befand, um seine Stimme zu analysieren. Man hatte den Anruf zu einem Handy in einer belebten Einkaufsstraße im Norden der Stadt zurückverfolgt. Ha n dys gibt es in Rio wie Sand am Meer. Das Telefonnetz ist so schlecht, daß man sich lieber auf Mobiltelefone verläßt. Deren Anrufe zurückzuverfolgen, ist praktisch unmöglich.
Ein Dutzend Polizisten durchsuchte den Tijuca-Wald, hatte aber bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nichts entdeckt.
Maria kümmerte sich um das leibliche Wohl von Luís und mir. Sie schien die Angelegenheit im allgemeinen gut zu verkraften, mußte hin und wieder aber doch aus dem Zimmer laufen, weil sie in Tränen ausbrach. Cordelia e r schien jeden Tag für einige Stunden, aber das Warten zerrte an ihren Nerven. Sie wirkte sehr in sich gekehrt, ganz und gar nicht mehr wie die starke Frau, die ich im Kinderhort kennengelernt hatte. Sie ging nicht mehr dorthin. V o rübergehend nicht, sagte sie.
Tagsüber hielt ich mich in Luís ’ Wohnung auf, nachts schlief ich im Hotel. Ein paarmal schlenderte ich durch di e P rachtstraßen von Ipanema. Es tat gut, wieder einmal L e ben um sich zu haben, den Menschen zuzusehen, wie sie in den Nobelboutiquen Einkäufe tätigten, oder weiter oben an den Marktständen vorbeizuschlendern, wo Blumen, Teppiche und indianische Schmuckstücke verkauft wu r den. Im Grunde war Ipanema ein Gewirr aus luxuriösen Apartmenthäusern zwischen Strand und Lagune. Hin und wieder fand sich dazwischen ein altes Gebäude im Kolonialstil, wobei »alt« in Ipanema höchstens fünfzig Jahre bedeutet. In einem dieser Gebäude sah ich eine hübsche Bar und trat ein, um ein Bier zu trinken. Irgendwo hatte ich g e lesen, daß der Song The Girl from Ipanema von einem Mann geschrieben worden war, der in einer solchen Bar gesessen und die einheimischen Schönheiten hatte vorbe i flanieren sehen. Tatsächlich kamen viele junge Mädchen vorbei, sonnengebräunt und bezaubernd. Aber ihr Anblick erinnerte mich nur schmerzlich an Isabel.
Ich versuchte mir vorzustellen, wo sie war, wie es ihr ging. Bekam sie ausreichend zu essen? Konnte sie sich waschen? Für uns war es schon schwer genug. Um wieviel schlimmer mußte es erst für sie sein? Aber sie hatte einen starken Willen. Wenn jemand mit einer solchen Situation fertig werden konnte, dann sie.
Ich hätte sie nicht allein lassen dürfen. Ich hätte sie nie allein lassen dürfen!
Ich vermied den Strand von Ipanema. Über die Entführung hatte ich den Angriff auf mich ganz vergessen. Die Befürchtungen, die ich bezüglich der Geldwäsche und zweifelhafter Dekker-Ward-Geschäfte hatte, waren vol l kommen in den Hintergrund getreten. In meinem B e wußtsein gab es nur noch einen Gedanken: Isabels Befre i ung.
Mit Ricardo sprach ich regelmäßig. Es war irgendwie tröstlich, jeden Tag seine besonnene Stimme zu hören. Nelsons Verhandlungsgeschick schien ihn zu beeindrucken. Anstandslos bezahlte er meine Hotelrechnung weiter. E r h atte mit Luís gesprochen, der ihn eindringlich gebeten hatte, mir vorerst den weiteren Verbleib in Rio zu gesta t ten.
Auch mit Jamie telefonierte ich. Er zeigte viel Mitgefühl. Die ganze
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