Der Marschenmörder
auf Timm runter. „Und schaun Sie uns an dabei. Oder haben Sie im Schlaf gesungen?“
Erschrocken reißt Timm die Augen auf. „Ich dachte, Herr Tietjens …“
„Tscha. Und nun sind wir da. Und möchten uns mit Ihnen unterhalten. Falls Ihr Zustand das zulässt.“ Der Spott hinter Mohrdiecks Worten ist Timm nicht entgangen. Er setzt sich auf, schwingt die Beine aus dem Bett. „Wenn es sein muss.“
Schütt tritt näher. „Wir versuchen es, Herr Thode. Und wenn es Ihnen zuviel wird, brechen wir ab.“
Froh, die Zelle für einige Zeit verlassen zu dürfen, folgt Timm den Ermittlern. Seine Angst vor ihren verfänglichen Fragen verflüchtigt sich, als sie ihn nicht zum Justizamt führen, sondern in das Wohnzimmer des Wärters.
Frau Annelene gießt frisch duftenden Kaffee auf, stellt eine Schale mit Kleingebäck auf den Tisch und entfernt sich diskret, als die Herren Oberräte Timm gegenüber Platz genommen haben. Aufgeräumt und scheinbar gut gelaunt bitten sie Tietjens, sich neben den Inculpanten zu setzen.
Der Wärter blickt fragend in die Runde. Mohrdieck nickt ihm zu: „Sie vermissen von Prangen? Der ist heute unabkömmlich. Muss in Glückstadt eine Verhandlung protokollieren.“
Timm ist erleichtert. Ohne Protokollführer kein Verhör. Höchstens ein privates Gespräch über Nebensächlichkeiten. Doch er irrt.
„Sie waren einige Jahre außer Haus“, beginnt Mohrdieck die ,Unterhaltung‘. „Unter anderem beim Müller Lembke in Krummendiek. Hat es Ihnen dort gefallen?“
Timm spürt, dass der Oberrat ihm eine Falle stellen will. „Eigentlich nicht übel. Der Meister war freundlich. Die Frau kochte gut. Und mit dem Gesellen Meyer hab ich mich prima verstanden.“
„Soso“. Mohrdieck schürzt die Lippen. „Aber die Arbeit war hart. Dazu der Staub, der Dreck, die Mehlsäcke, die sie hochschleppen mussten. Bis zu zwei Zentner schwer. Da wären Sie doch gern wieder daheim gewesen. Oder?“
Wie bei einer Verschnaufpause während harter Arbeit fährt Timm sich mit dem Handrücken über die Nase. „Ich weiß nicht. Mein Vater …“
„Genau.“ Mohrdiecks Ton wird schärfer. „Ihr Vater hätte Sie nicht aufgenommen, wenn Sie bereits nach zwei Wochen vor der Tür gestanden hätten. Aber Sie wollten weg. Weg von Mühlenstaub und Säckeschleppen. Sie wollten unbedingt wieder nach Hause.“
„So war das nicht. Ich wär’ länger geblieben, wenn die Mühle nicht …“
„… abgebrannt wäre“, ergänzt Mohrdieck. „Ein für Sie günstiger Zufall. Erzählen Sie uns, was sich genau zugetragen hat. Am 4. Juni 64.“
„Ja, aber, was hat das zu tun mit …?“
„Wir stellen hier die Fragen.“ Eiskalt klingt Mohrdiecks Stimme. „Und Sie antworten. Und zwar wahrheitsgemäß.“
„Ich war mit Reimer Meyer oben in der Mühle. Der Meister war mit seiner Frau nach Itzehoe. Zum Einkaufen. Der Meyer und ich, wir war’n die ganze Zeit zusammen. Und dann kam plötzlich die Köchin auf den Hof gerannt. ,Feuer!‘ rief sie. Immer wieder: ,Feuer! Feuer!‘ Die kreischte richtig. Da sind wir beide, der Meyer und ich, rübergelaufen. Und da stand der Boden vom Hinterhaus schon in Flammen.“
Mohrdieck hebt die Hand, um Timms Redefluss zu unterbrechen. „Ich weiß. Und Sie haben gemeinsan mit dem Meyer versucht, den Brand zu löschen. Leider vergeblich. Das gesamte Anwesen brannte nieder.“ Er beugt sich leicht zu Timm hinüber. „Sie brauchten nur ein paar Minuten, um sich unbemerkt vom Müllergesellen zu entfernen. Auf dem Boden des Hinterhauses das dort lagernde Heu und Stroh anzuzünden und wieder am Arbeitsplatz zu sein.“
„Nein! Das stimmt nicht! Sie wollen mir was einreden. Ich soll das Feuer gelegt haben? Bloß, damit mein Vater mich wieder aufnehmen würde? Fragen Sie doch den Meyer. Der kann bezeugen, dass wir die ganze Zeit in der Mühle zusammen waren. Bis die Köchin zu schreien anfing.“
Mohrdieck winkt ab. „Den Meyer vernehmen wir gesondert. Jetzt wollen wir von Ihnen hören: Haben Sie die Mühle angesteckt?“
„Nein und nochmal nein!“ Timm atmet schwer mit offenem Mund, verkrampft die Hände, verdreht die Augen. Sackt auf dem Stuhl zusammen.
„Lene! Lene!“ Tietjens ist aufgesprungen.
Frau Annelene stürzt zur Tür herein. Wirft den Herren Oberräten einen vorwurfsvollen Blick zu. Packt Timm bei den Schultern, rüttelt ihn, rennt zur Küchentür: „Jan! Jan! Du muss mit anfooten!“
Der 15-Jährige, groß und kräftig, erscheint, übersieht den Besuch, guckt
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