Der Maskensammler - Roman
übergroßen braunen Segeln in der Form von Vogelschwingen kamen in Sicht. Auf den Ruderbänken standen Männer mit nackten, glänzenden Oberkörpern und schwenkten Körbe voller Früchte. «Das sind ‹Praos›», sagte Dr. Holzer. «Früher lauerten vor der Hafeneinfahrt Dutzende solcher Boote. Die Burschen kletterten an Bord, um als Willkommensgruß Bananen, Mangos und anderes Obst an die Passagiere zu verkaufen.» – Bernhard stand versunken in die neuen Eindrücke. Da schüttelte ihn Dr. Holzer an der Schulter: «Jetzt müssen wir unser Gepäck holen. Wir sind gleich da.»
***
Am Ende der Landungsbrücke stand der große Schwarze. Vor ihm drängten sich die Kulis. Alle paar Minuten ließ er drei durch, die an Deck von einem Steward in Empfang genommen und zu den mit ihrem Gepäck wartenden Passagieren gebracht wurden. Jedes Mal, wenn oben auf der Brücke ratlos blinzelnd ein Passagier erschien, schwoll das Stimmengetöse an, und gierige Blicke verfolgten das mit unsicheren Schritten näherkommende Opfer.
Als Letzter vor der Mannschaft und dem Kapitän verließ Bernhard, begleitet von Dr. Holzer, das Schiff. Kaum hatten sie festen Boden unter den Füßen, zupfte und zerrte es an ihren Ärmeln. Obwohl ihm die Berührungen unangenehm waren, blieb sein Blick an den kleinen braunen Händen hängen, die wie Mäuler nach ihm schnappten. «Hotel! Hotel!» – «Mijnheer, mijnheer! Kom met me mee!» – «Niet duur!» – «Kom, kom!» Bernhard hielt seine Umhängetasche fest und wäre in dem Getümmel untergegangen, hätte nicht Dr. Holzer den Schwarzen mit einem Bakschisch dazu gebracht, das Menschengewirr zu teilen und ihnen Durchgang zu verschaffen. Das Gepäck polterte auf einem zweirädrigen Karren hinter ihnen her.
Am Ende des Kais, vor einem stattlichen Gebäude, wurden sie von einem Uniformierten aufgehalten. Durch ein Portal mit der Aufschrift «Pascontrole/Douane» führte er sie in einen Raum, in dem es nach Zwiebeln und Stiefelwichse roch, die Fenster waren vergittert, an der Wand hing das gewellte Foto der Königin Wilhelmina in einem bodenlangen, blassblauen Spitzenkleid mit dezentem Ausschnitt, ein Diadem im Haar. Die Brust, ursprünglich von einem Orden geschmückt, war verunstaltet von einem braunen Stockflecken.
Es dauerte eine Weile, bis ein zweiter Uniformierter in einer helleren, mit roten Epauletten versehenen Militärjacke erschien, der ihre Visa einer langwierigen Prüfung unterzog, ihnen mehrseitige Fragebögen vorlegte und dessen Laune sich erst besserte, als ihmBernhard und Dr. Holzer ihre Reisepässe hinschoben, aus denen er mit einer routinierten Bewegung einige Gulden zog. Daraufhin ging alles schnell. Die Einreisepapiere wurden rechts unten mit einem Schnörkel versehen und abgestempelt. Der Beamte geleitete sie zur Tür, hob die Rechte zum Gruß an die Mütze und verabschiedete sie mit einem breiten Lächeln: «Duitsland is goed land.»
***
«Wir nehmen die Bahn. Es ist nicht weit», sagte Dr. Holzer. Bernhard saß in dem rumpelnden Gefährt, ganz darauf konzentriert, seine Nase durch ein Taschentuch vor dem beißenden Rauch der Lokomotive zu schützen. Vor den rußverschmierten Scheiben zog ein Mangrovensumpf vorüber, in dem regungslos langbeinige Vögel standen. Dann auf dem Bahndamm struppiges Buschwerk, überwuchert von Girlanden dunkelrot blühender Lianen. Die ersten Palmen kamen ins Bild, Büschel windzerzauster Wedel auf langen, zerbrechlich dünnen Stämmen. «So also sieht das hier aus!», dachte er. Einen klaren Gedanken konnte er nicht fassen.
In der Altstadt von Batavia übernahm Dr. Holzer die Führung. Von früheren Aufenthalten kannte er ein preiswertes, sauberes Hotel. Sie liefen durch Gassen mit glitschigem Lehmboden, über verwinkelte, mit alten Rädern, kaputten Sitzmöbeln, geborstenen Körben und anderem Gerümpel vollgestellte Plätze, ihnen immer voraus ein Rudel Kinder, die sie mit aufgeregtem Geschrei ankündigten.
In den Fenster- und Türhöhlungen erschienen dunkle, ernste Gesichter, von deren Blicken Bernhard sich verfolgt fühlte. Die blanke Neugier in den braunen Augen, die ihn anstarrten, erschreckte ihn, er hielt den Kopf gesenkt, es war ein Spießrutenlauf.
Als sie eine breite Straße erreichten, sah Dr. Holzer sich um. Er wusste nicht weiter, sie hatten sich in der Altstadt verlaufen. Kaumblieben sie stehen, noch unschlüssig, in welche Richtung sie gehen sollten, als sich ein Kreis aus Neugierigen bildete. Sie waren umzingelt, Bernhard
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