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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ergriff Panik. Da sah Dr. Holzer auf der anderen Straßenseite ein Hotel. Bernhard nickte, er war mit allem einverstanden, nur diesen Tumult konnte er nicht länger ertragen. Plötzlich zog sie jemand am Ärmel. Es war der Kuli, der ihnen mit ihrem Gepäck die ganze Strecke gefolgt war. «Dit hotel helemaal niet goed!», sagte er leise. Aber Bernhard flüchtete schon auf den Eingang zu, dessen Tür sich vor ihnen öffnete, als würden sie erwartet.
    Bernhard war anspruchslos. In seiner Kabine hatte er nichts vermisst, ihre mönchische Kargheit hatte beruhigend auf ihn gewirkt. Aber was ihn in diesem Hotelzimmer erwartete, war unvorstellbar. Im Bett lag er voll bekleidet, um mit dem klebrigen Leintuch nicht in Berührung zu kommen, er ekelte sich vor den Käfern mit den langen Fühlern, deren Panzer knackten, wenn er auf sie trat, aus dem Wasserhahn floss eine übel riechende bräunliche Brühe. Am schlimmsten aber waren die Stunden nach Mitternacht: Die Absteige wurde erschüttert von Schreien, Stöhnen, Würgen, Grölen, Jaulen, Brüllen. Am Morgen musste er mal über eine Pfütze aus Erbrochenem, mal über eine Blutlache steigen.
    Dr. Holzer versprach, sich nach einer anderen Bleibe zu erkundigen. Um die Albträume der Nacht zu vergessen, frühstückten sie am Waterlooplein in einem Straßencafé, das «Oranje» hieß und dessen Vorfahre an einem Pariser Boulevard gelegen haben musste. «Nein, bestellen Sie keinen Saft!», sagte Dr. Holzer und ging in die Küche, um sich zu vergewissern, dass der Tee, den er bestellt hatte, mit kochendem Wasser aufgebrüht wurde. Auf dem Weg zurück begrüßte er an einem der Nebentische eine Frau. «Kommen Sie doch zu uns! Sie kennen Herrn Riederer?» Es war die Holländerin. Dr. Holzer freute sich offensichtlich, sie zu treffen, während Bernhard, benommen von den zurückliegenden Strapazen, kaum hinhörte, als sie ihren Namen nannte: Antje Levenbroich.
    Sie war nicht blond, hatte keine Sommersprossen, ihre Haut hatte eine für eine Holländerin ungewöhnlich dunkle Tönung. Ohne dass Dr. Holzer sie darauf angesprochen hätte, sagte sie: «Meine Mutter ist von hier. Ich bin nach langer Zeit mal wieder bei ihr zu Besuch.» – «Dann können Sie verstehen, was die Leute reden?» – «Ja, natürlich! Es hat sich rumgesprochen, dass Sie Arzt sind. Es wird nicht lange dauern, dann wird man Ihnen die Hände küssen, damit Sie der kranken Oma ein paar Pillen verschreiben. Und Sie?» Jetzt wandte sie sich Bernhard zu und lachte: «Sie müssen vorsichtig sein. Sie hält man für einen Agenten, einen Spitzel, einen Spion.» Bevor Bernhard protestieren konnte, war sie bei einem anderen Thema: «Wie lange bleiben Sie?» Dr. Holzer antwortete als Erster: «Ich fahre auf der ‹Sindaro› zurück. Wann das sein wird, weiß ich nicht. Sie warten auf ein Ersatzteil, einen Kolben oder so was Ähnliches. Das kann länger dauern. Man hat mich angewiesen, die Stadt nicht zu verlassen. Ich bin also gewissermaßen auf Abruf hier.» – «Und was haben Sie vor?»
    Bernhard war nicht gewöhnt, so direkt angesprochen zu werden, von einer Frau schon gar nicht. Warum wollte sie das wissen? «Ich bin Ethnologe und will das Land …» – «ausspionieren» lag ihm auf der Zunge, aber er sagte nach einer kurzen Pause «… kennenlernen.» – «Das Land ist voller Überraschungen, Sie werden staunen. Sagen Sie Bescheid, wenn ich irgendwie helfen kann.» Sie stand auf. «Vor allem müssen Sie aus dem Drecksloch da drüben raus. Ich werde mich nach einem anständigen Hotel umhören.» – «Das wäre wahrlich eine gute Tat», sagte Dr. Holzer. «Aber wie bleiben wir in Kontakt?» – «Ich finde Sie schon. Sie sind hier im Viertel die einzigen, ‹orang blanda›! Die ganze Altstadt weiß, wo Sie gerade sind.» – Als Antje, die Holländerin, gegangen war, dauerte es eine Weile, bis das Herzklopfen nachließ, von dem Bernhard dachte, es wäre dem starken Tee zuzuschreiben. «Wieso spricht sie fast akzentfrei Deutsch?» – «Fragen Sie sie selbst», antwortete Dr. Holzer.«Vielleicht hat sie einen Deutschen Freund. Das gibt es. Auf die Weise lernt man eine Sprache am schnellsten.»
    Ein Gespräch wie viele andere, drei Europäer nach einer langen Reise in einem Straßencafé am anderen Ende der Welt, nicht mehr. Und doch war es für Bernhard der Wendepunkt. Gemartert von Schlaflosigkeit, hatte er sich auf den trüben Gedanken eingelassen, seinen Vater in einem Brief um Verzeihung zu bitten mit dem

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