Der Maskensammler - Roman
Versprechen, die Banklehre unverzüglich anzutreten. Er wollte hier weg, mit dem ersten Schiff zurück nach Rotterdam. Jetzt aber verflog seine Benommenheit, er hatte die beruhigende Stimme der Frau im Ohr, sie würde ihm helfen, sie hatte es angeboten. Er wagte einen Rundgang über die Rijswijkstraat, lief ein Stück an den Eisenbahngleisen entlang und durch die Gassen der Altstadt zurück zum Hotel. Die Bewohner schienen sich an seinen Anblick gewöhnt zu haben. Geräuschlos traten sie aus ihren Häusern und schritten ohne Hast vor ihm her. An den Kreuzungen stiegen sie von ihren Fahrrädern und betrachteten mit einem kindlichen Interesse diesen Fremden, der beim Gehen die Arme schwenkte und unverständlich große Schritte machte. Kein Geschrei, kein Gedränge mehr. Die anfängliche Aufdringlichkeit war einer beiläufigen Neugier gewichen.
***
Als Bernhard in seinem Zimmer nach dem Lichtschalter tastete, trat er auf etwas, das mit einem knirschenden Geräusch zerbrach. Über den Boden verstreut lagen, teils noch in ihren Dosen, die mitgebrachten Filme. Um sich von dem Schreck zu erholen, fing er an, sie zu zählen. Käme er auf eine gerade Zahl, wäre alles gut. Aber während er noch versuchte, sich zu konzentrieren, um keinen zu übersehen, wusste er, was ihn erwartete: Die Schiffskoffer waren aufgebrochen, die Fächer und Schubladen in großer Hastdurchwühlt worden. Mit klammen Fingern suchte Bernhard nach dem Tapetentürchen. Das Geheimfach, in dem er seinen Reisepass, die Travellerschecks, die Aufenthaltsgenehmigung und auch die goldene Taschenuhr aufbewahrte, hatte der Dieb nicht entdeckt. Aber der Fotoapparat war weg! Als Bernhard sich klarmachte, wie hilflos er war, hätte er heulen mögen. Wie ein unartiges Kind sprang er im Zimmer herum und zertrat die Dosen und Kapseln. Als er sich beruhigt hatte, beschloss er, sich zu beschweren, oder besser noch: Anzeige zu erstatten.
Am Abend machte er die ersten Tagebucheintragungen: «Ich habe es so gewollt, aber ich hatte keine Vorstellung, was mich erwartet. Man hat mir meine Leica gestohlen. Ich habe sie nur selten benutzt, trotzdem habe ich an ihr gehangen. Ich hoffe, dass sie dem Dieb kein Glück bringt. Jetzt fühle ich mich schlecht. Es ist nicht allein der materielle Verlust, der mich schmerzt, sondern der Gedanke, dass man in dieser Stadt völlig ungeschützt ist, dass es hier keinen Ort gibt, an dem man vor Übergriffen sicher ist. – Da ich nun keine Fotos machen kann, werde ich mich ganz auf’s Zeichnen verlegen müssen.»
Während trotz des Diebstahls der graue Vorhang sich hob und seine Laune sich langsam besserte, erwartete die Nacht Bernhard mit neuen Schrecken.
Um einschlafen zu können, nahm er eine der rosa Pillen, die der besorgte Dr. Holzer ihm gegeben hatte. In den frühen Morgenstunden weckte ihn ein dumpfer Schlag gegen seine Zimmertür. Bernhard schreckte hoch, fand den Lichtschalter und sah, wie die Verriegelung aufsprang. Ein Mann stürmte herein und blieb taumelnd vor dem Bett stehen. Über seiner Stirn klaffte eine Platzwunde. Er wischte sich die Augen und schlug mit der blutverschmierten Hand gegen die Wand, wo sich ihre Umrisse rot abzeichneten. In dem Moment stürmten zwei Uniformierte den Raum. Der eine packte den Mann und schlug ihm mit einem Stockauf den Schädel. Der stieß einen gurgelnden Schrei aus und sackte zusammen. Der andere Polizist ging auf Bernhard los und wollte gerade zuschlagen, als Dr. Holzer in der Tür erschien und sich dazwischenwarf. Die Polizisten schleiften den leblosen Körper auf den Flur. Dr. Holzer schloss die Tür und sagte: «Wir ziehen hier aus!»
***
Am nächsten Morgen erwartete sie am Eingang der Beamte, der bei ihrer Ankunft ihre Einreisepapiere abgestempelt hatte. Er wirkte wie frisch gewaschen, hatte auf Hochglanz polierte Stiefel an und war in Begleitung eines sauber gekleideten jungen Mannes, der sich als Frank vorstellte: «Ich bin Dolmetscher. Ich spreche Deutsch. Commissaris …» – er nannte einen Namen, der wie «Langmut» klang – «hat mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, dass er die Vorfälle der letzten Nacht außerordentlich bedauert. Auch will er Sie fragen, warum Sie dieses Hotel gewählt haben, das ein Treffpunkt von kommunistischen Kriminellen ist.» – Dr. Holzer antwortete, sie wären hier rein zufällig abgestiegen. «Haben Sie sich in dem Hotel mit irgendjemandem verabredet oder haben Sie jemanden kennengelernt?» – Dr. Holzer verneinte. «Haben Sie in diesem Hotel
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