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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ungespült das Familienporzellan der von Riederers. Bernhard fand keine Ruhe, immer neue Schreckensbilder standen ihm vor Augen. Er verlor die Beherrschung, sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Noch in der Nacht machte er sich auf die Suche. Er durchwühlte die Schubladen, untersuchte die Wände des Sekretärs nach Geheimfächern, stieß auf einen Karton mit Fotos und einen Packen Briefe, von deren Existenz er nicht wusste, fand im Keller und im Speicher langstielige Schlüssel, die auf kein Schloss passten, steckte widerwillig die Hände in die Taschen der verstaubten Jacken und Mäntel seines Vaters, zog aus ihnen Patronenhülsen, Notizzettel, abgebrochene Bleistifte und Kieselsteine hervor, riss sich den Finger an einem Nagel der Holzverkleidung auf, und während das Blut aufs Parkett tropfte, kam ihm die Erleuchtung: Hinter der Kopie einer Eberhatz des flämischen Malers Frans Snyders würde er finden, was er suchte. Und tatsächlich, da hingen sie, die Schlüssel der Waffenkammer.
    ***
    Bernhard zögerte, diesen Raum zu öffnen, der zu Lebzeiten seines Vaters das wahre Herz von Haus «Diana» gewesen war. In Sagen gab es solche heiligen Orte, die zu betreten der Eindringling mit dem Leben bezahlte. Für die Sekunde, bevor er das Licht anknipste, hatte er die Vorstellung, den Vater in sich zusammengesunken aufeinem Stuhl sitzend vorzufinden. Er meinte, ein Geräusch zu hören, wie wenn jemand nach langem Schlaf mit einem Seufzer die Augen öffnet. Aus Angst, die schwere Eisentür könnte ins Schloss fallen und von innen nicht zu öffnen sein, stellte er seine Pantoffel auf die Schwelle. Barfuß und auf Zehenspitzen wagte er endlich die ersten Schritte. Dies also war die Waffensammlung des Tyrannen seiner Kindheit und Jugend. An den Wänden hingen, so ordentlich wie im Regal die Fachbücher des Germanistik-Professors, Gewehre verschiedener Bauart, ein halbes Duzend, und außerdem in schmalen Stellagen Pistolen, Munition, Pflegemittel und ein Jagdbuch.
    Mit klammen Fingern schlug Bernhard das Jagdbuch auf. Akribisch hatte sein Vater in Schönschrift Eintragungen über jeden einzelnen Jagdgang gemacht: Uhrzeiten, Wind- und Wetterbedingungen, Begleitpersonen, Bezeichnung von Flinte und Munition und – durch einen Kasten von den anderen Angaben abgehoben – die Strecke, die Beute, das erlegte Wild. Es war nicht viel: mal ein Hase, mal ein Fasan, selten ein Reh oder Wildschwein. Oft war der Kasten mit einem verärgerten Strich durchgekreuzt. – Während Bernhard blätterte, hatte er das Gefühl, sein Vater blickte ihm missbilligend über die Schulter. Dieses Buch musste er vernichten.
    Er griff nach der Flinte, mit der er seinen Vater bei jedem Wetter im Wald hatte verschwinden sehen, und nach einer mit Perlmutt verzierten Pistole, verschloss die Eisentür wieder und huschte, immer noch barfuß, in sein ehemaliges Kinderzimmer. In dem Schrank, in dem noch Reste seiner Spielsachen, Märchenbücher und Anziehsachen des Zwölfjährigen lagen, versteckte er seine Beute. Jetzt konnte der Franzose kommen.
    ***
    Der stand am nächsten Tag vor dem Haus, wieder unangemeldet, aber ohne Fahrer und Begleitsoldaten. Er lächelte das Lächeln, mit dem Kadetten ihre Auserwählte zu einem Opernabend abholen. Bernhard sollte sich geschmeichelt fühlen, war aber eher verwirrt, ein Zustand, der sich noch steigerte, als der Offizier bemerkte, die Frage des Casinos wäre keineswegs entschieden. «Ihren Tee habe ich in bester Erinnerung, trotzdem besten Dank. Wir wollen keine Zeit verlieren und gleich die Waffenkammer inspizieren.»
    Er betrachtete jedes einzelne Stück mit der liebevollen Neugier des Kenners: «Ich könnte alles konfiszieren, aber ich will Sie nicht berauben. Wir einigen uns außerdienstlich. Ich zeige Sie nicht an wegen unerlaubten Waffenbesitzes, Sie danken es mir großzügig. Wir teilen, wie Freunde es täten: halbe–halbe.» – Sorgsam verstaute er seinen Anteil und schlug mit einem zufriedenen Lächeln den Deckel des Kofferraums zu. Dann holte er vom Rücksitz eine Flasche Rotwein und eine Spanschachtel Camembert, drückte sie Bernhard in die Hand, sagte: «Guten Appetit!» und «Grüßen Sie Ihre reizende Haushälterin!» und fuhr in einer Staubwolke davon.
    Bernhard wartete, immer auf das Schlimmste gefasst. Aber der gefürchtete Bescheid kam nicht. Die französische Armee hatte wohl eine andere Residenz für ihr Casino gefunden.
    Der Auftritt des französischen Offiziers, der möglicherweise nur ein

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