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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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sagen. Ich verdiente Geld wie Heu, konntemir maßgeschneiderte Anzüge leisten und …» An der Stelle wusste er nicht weiter, starrte einen Moment ins Leere, dann fiel ihm das Kinn auf die Brust. «Du bist mein einzig wahrer Freund», murmelte er, als Bernhard ihm aufzuhelfen versuchte. Ulrich wollte ihn wieder umarmen, verlor dabei das Gleichgewicht, aber Bernhard fing ihn auf und führte ihn zum Sofa. Ulrich streckte sich und schlief sofort ein.
    Bernhard war wie immer, wenn etwas Unvorhergesehenes geschah – verwirrt. Er war durch das Leben allein an Gesellschaft nicht mehr gewöhnt. Der Mann, dem er jetzt die Schuhe auszog und dessen Füße er in eine Decke wickelte, hatte ihm gefehlt, er hatte ihn aufgegeben und nicht zu hoffen gewagt, dass er ihn wiedersehen würde. Er betrachtete ihn mit einer Mischung aus Zuneigung und Furcht. In seiner Erinnerung war er größer und hatte nicht die Hängebacken und den Bauch, der über den Gürtel quoll. Auf Zehenspitzen schlich er davon. Die Flasche nahm er mit. Sie war leer.
    «Das ist Dr. Holzer, er ist Arzt, ich habe ihn auf meiner Reise kennengelernt», stellte er ihn Katrin vor, als sie das Abendessen, zwei Speckpfannkuchen für jeden, brachte. Sie zuckte nur leicht die Schultern, zog dann aber mit einem Blick auf den Gast ihre Bluse glatt und wünschte «Guten Appetit». Bei Tisch war Ulrich schweigsam, er trank Wasser, erst später öffnete er eine zweite Flasche Wein. «Ich habe dir ein Märchen erzählt. Nichts von dem, was ich gesagt habe, ist wahr.» Er war tatsächlich in München gewesen. Die Stadt im Zeichen des Hakenkreuzes zu sehen, hatte ihn zur Verzweiflung gebracht. Sein Name stand auf einer Fahndungsliste, zurück in Holland entging er nur knapp einer Verhaftung. Auf dem englischen Schiff wurde er wie ein Flüchtling behandelt, man gab ihm keinen Vertrag, wenn ein Passagier ärztliche Hilfe brauchte, wurde er mit ein paar Pfund abgegolten. Das hatte er nicht ausgehalten, der Alkohol war billig an Bord, er fing an zutrinken. Der Kapitän weigerte sich, ihm ein Zeugnis auszustellen, ohne eine Empfehlung, ohne Geld in der Tasche ging er in Buenos Aires an Land. Von einer Telefonzelle aus rief er bei einer jüdischen Organisation an. Die vertröstete ihn auf den übernächsten Tag und vermittelte ihm schließlich nach einigem Hin und Her eine Stelle als Assistent eines jüdischen Arztes in einem ärmlichen Viertel. Er arbeitete und schlief in einem Raum mit heruntergezogenen Jalousien. «Er lag in einem Hinterhof. Ich habe dort illegale Abtreibungen vorgenommen. Auch Patienten mit Geschlechtskrankheiten, die mein Chef nicht selbst behandeln wollte, schickte er zu mir.»
    Überwältigt von Erinnerungen, konnte Ulrich nicht weitersprechen. Es entstand eine lange Pause. «In unserem Viertel war Straßenfest. Vorher ging ich in eine öffentliche Badeanstalt, denn in meiner ‹Praxis› gab es nicht einmal eine Dusche, unter der ich mich von den Spuren meiner Drecksarbeit hätte säubern können. Ich war mit der Schwarzhaarigen verabredet. Kurz vorher hatte ich sie von einer Schwangerschaft befreit, die sie der kurzen Romanze mit einem Mann zu verdanken hatte, dessen Namen sie nicht einmal kannte. Sie brachte mir Tango bei, bis nach Mitternacht haben wir getanzt. Am nächsten Morgen hat sie mich angezeigt. Dafür gibt es ein paar Silberlinge Prämie. Die Polizei hat kurzen Prozess mit mir gemacht: Ich wurde mit dem nächsten Schiff abgeschoben. Durch Zufall war es der Engländer, mit dem ich gekommen war. Ich musste unter Deck bei der Mannschaft schlafen. Man hat mich wie den letzten Dreck behandelt. In Southampton wartete schon ein Vertreter der Einwanderungsbehörde auf mich, ein besonders unangenehmes Exemplar seiner Zunft. Ich durfte mich nicht frei bewegen. Auf einer Fähre Seiner Majestät des Königs wurde ich in einen Käfig gesperrt, der wohl für den Transport von Hunden gedacht war. So bin ich – um einige Erfahrungen reicher – zurück in Deutschland.»
    Das Elend des Freundes griff Bernhard ans Herz und berührte Schichten, die unter dem Wunsch zu vergessen begraben lagen. Er sah eine Gestalt, die er war, auf den Treppen einer Veranda liegen, er spürte den würgenden Schmerz der Verzweiflung, er roch den morastigen Dunst eines Wasserlochs. Er füllte sein Glas bis zum Rand und tat etwas ganz und gar Ungewohntes: Er ließ diese süßlich herbe Flüssigkeit in den Mund fließen, schluckte und spülte den Rest hinunter, als wäre es Wasser. Der

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