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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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dass mit der kleinen Ursula etwas nicht in Ordnung war. Er ließ die Fenster geschlossen, um das Babygeschrei nicht zu hören. Seine Ohren waren empfindlich, er konnte laute Geräusche nicht ertragen. Statt eines Geschenkes zur Geburt der gemeinsamen Tochter erhöhte er Katrins monatliches Salär, als wären ihre mütterlichen Pflichten eine zusätzliche Arbeitsleistung. Das war alles. Vermutlich hat Bernhard sein Kind nie auf dem Arm gehalten.
    «Ursula – gegen den Namen habe ich nichts einzuwenden. Aber man wird sie ‹Uschi› rufen, eine schreckliche Vorstellung! Ihr Verdauungssystem ist in ständiger Rebellion, trotzdem würde ich sofortmit ihr tauschen. Ich beneide sie darum, dass alles noch vor ihr liegt. Mein Leben wird mir mehr und mehr zur Last, aber das ihre ist noch rein und unbelastet wie das sprichwörtliche weiße Stück Papier. Hanni, meine neue Zugehfrau, behauptet, die Kleine habe von ihrer Mutter die prominente Nase und von mir den dünnen (Hanni hat ‹schlank› gesagt) Körper geerbt. Aber was besagt das schon! Die Erbmasse ergibt sich rein zufällig, was man daraus macht, ist entscheidend. Für Ursula ist alles offen. Ich werde sie in keiner Weise beeinflussen, aber aus der Distanz, die mein Haus mir garantiert, mit Interesse verfolgen, welche der ungezählten Möglichkeiten sie ergreift, um ihr Leben zu gestalten», schrieb Bernhard in sein Tagebuch. Als Postscript fügte er hinzu: «Wenn Antje die Wahrheit gesagt hat, lebt auf Java eine Halbschwester oder ein Halbbruder von Ursula. Ich habe nachgerechnet: Ob von mir oder nicht, zehn Jahre ist er (oder sie) jetzt alt.»
    Katrin war darauf vorbereitet, dass sie das Kind allein aufziehen musste. Allein. Ohne den Rückhalt einer Familie, ohne Freundinnen, ohne den Vater drüben in seiner Villa. Sie hatte nicht erwartet, dass er ihr zur Seite stehen würde. Sie hatte keine Hoffnungen auf ihn gesetzt und trotzdem das Kind haben wollen. Bernhard war wie ein fremdartiger Vogel für sie, für Liebe und Familienglück ungeeignet. Und doch versetzte es ihr einen Stich, als Hanni ihr erzählte, sie müsse dem Herrn Riederer immer die eiskalten Füße massieren.
    Von den Bauchkrämpfen abgesehen, die Ursula durch ihre ganze Kindheit begleiten sollten und deren Spuren man auf frühen Fotos als leicht bitteren Zug um den Mund erkennen konnte, war Katrin mit der Entwicklung ihres Kindes zufrieden. Uschi, wie sie sie jetzt tatsächlich nannte, begann zu sprechen, als sie dreizehn Monate alt war. Auffällig war, dass sie «Mutter» oder «Katrin» und nicht wie andere Kinder «Mama» sagte, oder «Hund» statt «Wauwau». Nur eine kurze Phase lang sprach sie von sich als «Usu», dann äußerte sie ihre Wünsche in Sätzen, die mit «ich» begannen.Den Zeitpunkt hingegen, an dem sie nach einem Merkblatt des Gesundheitsamtes hätte laufen lernen müssen, ließ sie verstreichen. Erst auf einem Schlitten, dann in einem Leiterwagen wurde sie von ihrer Mutter über den Hof und die Einfahrt hinunter bis zum Tor gezogen, krabbelte auf allen vieren durch die Stube, machte aber lange Zeit keine Anstalten, ihre dünnen Beine für den vorbestimmten Zweck zu benutzen.
    ***
    Im Jahr darauf war der letzte Schnee noch nicht geschmolzen, da strich ab und zu ein Hund ums Haus, ein schwarzes, zotteliges Vieh, das wie das Untier aus einer Gruselgeschichte aussah. Katrin warf ihm schon mal eine Scheibe Wurst oder ein in Bratenfett getauchtes Stück Brot hin. Das fraß er gierig, kam nach kurzer Zeit wieder und blieb schließlich ganz. Er roch wie ein Wolf, hatte Kletten im Fell und musste hinterm Haus in einem Verschlag schlafen. Katrin sprach mit ihm wie mit einer Vertrauensperson, gestand ihm, wie sehr sie unter der Einsamkeit litt, und dass ihr ein Mann fehlte. Der Hund leistete ihr Gesellschaft, wenn sie Holz hackte, den Gemüsegarten umgrub oder in den Beeten drüben beim Haupthaus die ersten Blumen pflanzte. Der Frühling kündigte sich an, ihre Sehnsucht war groß.
    Eines Tages, als Katrin draußen beschäftigt war, kam der Hund in die Stube. Unschlüssig blieb er in der ihm unbekannten Umgebung stehen, hechelte verlegen und wäre wieder rausgelaufen, wenn nicht Ursula vor Freude jauchzend auf ihn zugekrabbelt wäre, sich an seinem Fell hochgezogen und sich auf ihre Beine gestellt hätte. Katrin erschien in der Tür und wollte ihren Augen nicht trauen. Ursula stand und lief ihr jetzt sogar «Ugo! Ugo!» rufend ein paar Schritte entgegen. Von nun an musste sie nicht mehr

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