Der Maskensammler - Roman
mich abgeschrieben.» Die Sätze wurden kürzer, die Schrift zog sich in die Breite. Im letzten Brief schrieb sie, dass sie sich «vor den Kindern schuldig» fühle. Er endete mit dem Satz: «Gehab Dich wohl!»
***
Katrin hatte eine gute Stimme. Das stellte sich ganz zufällig heraus. Sie hatte sich angewöhnt, die Schlager auf den Schallplatten mitzusingen, die Martin ihr hinterlassen hatte. Im Städtchen gab es jetzt einen Jazzkeller, das «Blue Note». Das Gewölbe der alten Zuckerfabrik war mit abstrakten Bildern in rauchigen Farben bemalt, auf den Tischen standen Kerzen in Bastflaschen, die männlichen Gäste gebärdeten sich wie James Dean oder trugen einen Hut wie Humphrey Bogart, die jungen Frauen Sonnenbrillen à la JulietteGreco. Katrin traf sich dort mit den Freunden, die aus der Schulzeit übriggeblieben waren, meistens samstags, wenn eine Band spielte. Sie tanzte nicht mehr ganz so selbstvergessen wie damals in ihrer Wohnstube, lachte über die Russenwitze, die gerade Mode waren, und ließ sich von einem, der Tommi hieß, zu einem Gebräu aus Cola und Bier einladen.
Tommi spielte Gitarre und holte sie aufs Podest, als einmal die angekündigte Sängerin wegen Halsschmerzen nicht auftreten konnte. Katrin trank noch einen Schluck, um ihre Stimmbänder von der rauchigen Luft zu befreien, schloss die Augen und sang – ohne die Texte zu verstehen – die Songs von Ella Fitzgerald, von Billie Holiday und auch des großen Satchmo, die sie von Martins Platten auswendig konnte. Sie traf die Töne besser als die Band, das Publikum pfiff vor Begeisterung und verlangte mehrere Zugaben. Tommi gab ihr vor allen einen Kuss und sagte, sie könne bei nächster Gelegenheit wieder singen.
***
Die Zeit verging, ohne von den Verhältnissen im Hause «Diana» Kenntnis zu nehmen. Bernhard hatte einen Sessel so dicht an die Wand gerückt, dass er den Masken nahe war und, ohne die Stimme zu erheben, sich mit ihnen verständigen konnte. Eines Tages, als er mal wieder Zwiesprache mit ihnen hielt, kam Katrin zu ihm. «Fällt Ihnen denn gar nichts auf?», fragte sie. Er fühlte sich gestört und wusste im Übrigen nicht, was ihm hätte auffallen können. Katrin streckte ihren Bauch vor und sagte: «Schauen Sie! Ich bin schwanger.» Sie könne die viele Arbeit in ihrem Zustand nicht mehr schaffen. Aber sie kenne eine Frau, die aushelfen könnte. «Sie ist nicht mehr die Jüngste, aber sie ist kräftig und kann arbeiten.» Schwanger. Sie musste es zweimal wiederholen, bis er begriff, was sie meinte. Schwanger, das hieß, dass es demnächst ein Kind im Nebenhausgeben würde. Darauf war er nicht gefasst. Er wollte ihr Glück wünschen, wollte ihr zeigen, dass er sich freute, aber das misslang. Dass die Aushilfskraft kommen solle, um sich vorzustellen, war alles, was er herausbrachte.
In der Nacht, in der der erste Schnee fiel, setzten die Wehen ein. Als die Hebamme endlich eintraf, war das Kind schon da, es blieb ihr nur, die Nabelschnur abzubinden, wie sie es gelernt hatte. Es war ein Mädchen, Katrin gab ihm dem Namen Ursula.
In der Geburtsurkunde wollte der Standesbeamte «Vater unbekannt» eintragen. Katrin aber widersprach: Bernhard Riederer wäre der Vater. Er glaubte ihr nicht, teilte ihr mit, er würde Rücksprache halten, und drohte im Zweifelsfall mit einem Vaterschaftstest. Als er sich bei ihm meldete, war Bernhard überrascht, als der Beamte sich vor Peinlichkeit windend die Frage wiederholte, antwortete er: «Aber ja, ich bin der Vater. Ich erkenne das Mädchen als mein Kind an.»
7. Kapitel
Ursula war kein glücklicher Säugling, sie litt unter Bauchkrämpfen. Ihr Geschrei, oft auch nachts, brachte Katrin zur Verzweiflung. Die Koliken wurden mit Lebertran behandelt, auf den das Kind vor Ekel mit Erstickungsanfällen reagierte. Katrin sang ihm die neuesten amerikanischen Schlager vor, und wenn auch das nichts nützte, mischte sie einen Schluck Malzbier ins Fläschchen. Sie wagte nicht, das kränkliche Wesen dem kalten, zugigen Wetter auszusetzen. So war sie ans Haus gebunden, im «Blue Note» trat wieder eine andere auf und Tommi ließ nichts von sich hören. Die nötigsten Einkäufe brachte ihr die Zugehfrau mit, die sie Bernhard empfohlen hatte.
Der änderte jetzt, da er Vater war, sein Verhalten nicht. Er hielt Abstand, erkundigte sich nicht, kam kein einziges Mal zu ihr und hatte offensichtlich kein Bedürfnis, das Kind zu sehen. Von der Zugehfrau, die er aus unerfindlichen Gründen Hanni nannte, hörte er,
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