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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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einem Schützenbruder in den Rücken geschossen hatte, und auch den Diebstahl im Delikatessengeschäft zu Protokoll. Von den Schüssen auf seine Schwester und deren Freundin sagte er nichts. Er verschwieg den Vorfall nicht, er war aus seiner Erinnerung getilgt.
    ***
    Eines Tages wurde Manfred davon in Kenntnis gesetzt, dass seine Schwester, Ursula Weinzierl, Besuchserlaubnis erhalten habe. In einem fensterlosen Raum bei Neonbeleuchtung saßen sie sich gegenüber, zwanzig Minuten Gesprächszeit wurde ihnen zugestanden. Manfred wirkte schmächtiger, als Ursula ihn in Erinnerung hatte, und er schien gealtert. Er kauerte auf seinem Stuhl mit hängenden Schultern, den Blick auf seine Fingerspitzen gerichtet. «Hast du auf Ines und mich geschossen? Warst du das?» Er zuckte zusammen, und Ursula meinte zu sehen, dass er mit dem Kopf nickte. Sie saßen schweigend. «Was hat zwei Flügel und kann nicht fliegen …?», fragte sie leise. Dann war die Besuchszeit zu Ende.
    Als Ursula den Artikel im Lokalteil der Zeitung gelesen hatte, wusste sie, dass der Tatverdächtige Manfred W. ihr Bruder sein musste. Nach der Begegnung in jenem fensterlosen Raum meldete sie sich zu einem Gespräch beim Untersuchungsrichter an. Sie verschaffte Manfred ein Alibi. Sie sagte aus, Manfred habe den Abend, an dem das Waffengeschäft ausgeraubt wurde, bei ihr verbracht. «Mein Bruder ist ein Waffennarr, aber kein Krimineller. Wenn er freikommt, werde ich mich um ihn kümmern.» – Der Beamte reagierte zurückhaltend. Ihm war bekannt, dass die Frau, die ihm gegenübersaß, bei den Studentenunruhen auffällig geworden war. Steif reichte er ihr mit einem «Wir werden sehen» die Hand.
    Derselbe Richter unterbreitete Manfred in Gegenwart eines Kriminalbeamten einen Vorschlag: Wenn er bereit wäre, mit ihnen zusammenzuarbeiten, würde er nur der Hehlerei angeklagt und die Strafe auf Bewährung ausgesetzt. Manfred konnte lediglich eine Beschreibung des Mannes mit der Pomade im schwarzen Haar und dem eng geschnittenen Zweireiher mit Nadelstreifen abgeben, aber keinen Namen nennen. Er hatte nur die Adresse, wo er das Geld aus dem Verkauf der Gewehre hätte abliefern sollen. Aber dann fiel ihm noch etwas ein: das Krawattengeschäft. Der Fremde hatte mit einem Scheck bezahlt.
    Der Aufseher, der seine Zelle aufsperrte, um ihn zu entlassen, gab Manfred ein paar Ratschläge mit auf den Weg: «Geh nicht zurück ins ‹Vier Jahreszeiten›! Such dir was anderes, wo niemand dich findet! Leg dir eine andere Frisur zu und lass dir einen Schnauzer stehen! Und trag nicht weiter diese grauen Klamotten, mach einen anderen aus dir!»
    Verwirrt wie jemand, der nach langer Abwesenheit vom anderen Ende der Welt zurückkehrt, saß Manfred in der Straßenbahn, auf dem Weg in die Innenstadt. Sie fuhr unerträglich schnell, bremste hart, mit einem Knall sprangen die Türen auf, stumme Gestalten drängten herein, umringten ihn, er klammerte sich an die Tasche mit seinen Habseligkeiten und starrte aus dem Fenster, ohne irgendetwas zu erkennen. Dann kam eine Durchsage, darauf hatte er gewartet, er zwängte sich zwischen den Rücken durch, hier musste er aussteigen.
    Er suchte so lange, bis er die Adresse gefunden hatte, die auf dem Zettel stand. Er klingelte, Ursula machte ihm auf. «Komm rein!» Er trank den Tee, den sie ihm hinschob, und stellte keine Frage. «Du kannst heute Nacht auf dem Sofa schlafen. Ich denke, das geht in Ordnung. Morgen sehen wir weiter.»
    ***
    Schlüsselklirren, die Wohnungstür wurde aufgestoßen. Es war Ines. «Oh, ich habe einen höllischen Tag hinter mir!», sagte sie noch im Flur. Dann stand sie im Zimmer. Sie stutzte: «Wer in Teufels Namen … Ich weiß, wer das ist! Das ist dein Bruder! Das ist der Kerl, der auf uns geschossen hat!» Das hatte sie fast geflüstert, jetzt schrie sie: «Raus! Raus! Das hier ist meine Wohnung. Mach, dass du rauskommst!» Er aber rührte sich nicht, saß apathisch auf seinem Stuhl: Wer war diese Frau? Was wollte sie? Was hatte er mit alledem zu tun? – Ines beugte sich über ihn: «Wieso bist du nichtmehr im Knast? Hat dein Schwesterlein dich rausgeholt? Hat erzählt, dass du am Abend des Überfalls bei uns warst? Hier, an diesem Tisch haben wir gesessen und über deinen Mordversuch geplaudert? Ja? Alles erstunken und erlogen! Aber weißt du was? Ich nehme an, dabei ist auch mein Name genannt worden. Ich will mit eurer ganzen Scheiße nichts zu tun haben! Nichts!» Sie packte ihn an den Schultern und schüttelte

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