Der Maskensammler - Roman
jungen Prostituierten, einem sogenannten Callgirl, füllte die Titelseiten. Dann kam der todbringende Erdrutsch. Er begrub mehrere Häuser unter Lehm und Geröll, eines davon ein Gasthof. Es waren ein Dutzend Menschenleben zu beklagen, zehn Einheimische und ein deutsches Ehepaar.
An dem Tag, an dem dieses tragische Unglück durch eine herzergreifende Familientragödie abgelöst wurde, meldete sich der Portier des «Vier Jahreszeiten» bei Manfred. Ein Herr warte im Foyer auf ihn. Manfred in seiner Kammer war auf Besuch nicht eingestellt. Er holte seinen einzigen Anzug unter der Matratze hervor, wo er ihn zum Plätten ausgebreitet hatte, und stand kurze Zeit später einem sonnengebräunten, jüngeren Mann gegenüber, der die glänzend schwarzen Haare schulterlang und zu einem Zweireiher mit Nadelstreifen Schuhe mit braun-weißem Oberleder trug. Manfred imponierte die lässige Art, wie der Fremde die Sonnenbrille über die Stirn schob und ihn zu einem kleinen Spaziergang einlud. Manfred witterte ein Geschäft.
Sie drehten in einem nahe gelegenen Park ein paar Runden. Der Fremde vermied es, auf die Fugen der Steinplatten zu treten, während Manfred mit Trippelschritten neben ihm herlief. Manfredsagte zu allem «ja», worauf der immer noch namenlose Fremde ihn wissen ließ, er werde per Telefon über Ort und Zeitpunkt der Übergabe informiert, und ihm, wie um die Vereinbarung zu besiegeln, in einem Eckgeschäft eine pinkfarbene Krawatte kaufte. Die sollte er am Tag der Übergabe tragen.
Manfred wagte es nicht, sein Zimmer zu verlassen, um den Anruf nicht zu verpassen. Endlich klingelte das Telefon. Eine ihm unbekannte Stimme fragte ihn nach den Maßen seines Bettes. Am nächsten Tag wurde zur vereinbarten Stunde eine Matratze geliefert und durch den rückwärtigen Hoteleingang in Manfreds Kammer geschafft. In sie waren drei Jagdgewehre eingenäht, fabrikneu, noch nicht eingeschossen. Manfred sollte sie, seine alten Verbindungen nutzend, unter der Hand verkaufen. Siebenhundertfünfzig Mark pro Stück musste er abliefern, wenn er einen besseren Preis erzielte, war das sein Gewinn.
Manfred nahm zu einem Schützenbruder Kontakt auf. Der reagierte merkwürdig zurückhaltend, wunderte sich über den niedrigen Preis, wollte dann Genaueres wissen: Hersteller, Typenbezeichnung, Fabrikationsnummer, sagte schließlich aber doch zu. Er kam, um das Schießeisen mal anzusehen, saß auf der Bettkante, hinter sich die geöffnete Matratze. «Wie schläft es sich denn mit drei Gewehrläufen im Rücken?», wollte er wissen, schaute auf die Uhr, nickte und verschwand Richtung Toilette.
Als Manfred aufblickte, standen zwei Männer in der Tür, die sich als Beamte der Kriminalpolizei auswiesen. Sie waren keineswegs grob oder unhöflich, machten einige Fotos, nahmen die Gewehre an sich und legten Manfred Handschellen an. Er war verhaftet, der Schützenbruder hatte ihn verpfiffen.
***
«Mutmaßlicher Waffenräuber gefasst. Polizei konnte Teil der Beute sicherstellen.» – Die Zeitungen griffen im Lokalteil den Überfall noch einmal auf, erinnerten an das als Rammbock benutzte Militärfahrzeug und an die drei vermummten Gestalten, von denen jetzt vermutlich einer, ein gewisser Manfred W., bei dem Versuch erwischt worden war, einige der geraubten Jagdgewehre – ein Abendblatt schrieb «Schnellfeuerwaffen» – an den Mann zu bringen. Die Polizei verfolgte – so glaubte man zu wissen – eine heiße Spur, und bald säßen sicherlich auch die anderen Täter hinter Schloss und Riegel.
Manfred verfiel in der Untersuchungshaft in eine dumpfe Gefühlsstarre. Er saß in seiner Zelle auf der Pritsche, sein Gesicht in den Händen vergraben, verweigerte das Anstaltsessen und den Hofgang und musste, als Zureden nicht half, zwangsweise gewaschen werden. Als er zum ersten Mal dem Haftrichter vorgeführt wurde, fing er so hemmungslos an zu heulen, dass das Verhör abgebrochen werden musste, noch bevor es begonnen hatte. Von Weinkrämpfen geschüttelt, verbrachte er die Nacht, und als am Morgen der Aufseher kam, geriet Manfred in Panik. Schreiend lief er mit solcher Wucht gegen die Wand, dass er halb bewusstlos in sich zusammensackte. Ein unstillbares Nasenbluten war die Folge. Der Gefängnisarzt diagnostizierte eine Gehirnerschütterung, gab ihm Beruhigungsspritzen und verordnete Kraftnahrung.
Von da an ging es ihm besser. Er ließ sich rasieren und beteuerte dem Personal wieder und wieder seine Unschuld. Ungefragt gab er den Jagdunfall, bei dem er
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