Der Maskensammler - Roman
hatte sie sich verliebt, weil er ihr imponierte, aber über Nacht war sie erst bei ihm geblieben, nachdem er sich mit dem höheren Rabatt und dem Remissionsrecht einverstanden erklärt hatte. Sie verbrachten die meiste Zeit im Bett oder vor dem Fernseher, gingen auf der Uferpromenade spazieren, allerdings vor den Leuten nicht Arm in Arm, wie Maria es sich gewünscht hätte, und ab und zu mal ins Kino. Gelegentlich führte Franz sie in ein Restaurant mit weißen Tischdecken und Stoffservietten aus, in dem man zum Aperitif ein Glas Sekt trank. Maria achtete darauf, dass er ihr aus dem Mantel half und ihr den Stuhl zurechtrückte, bevor sie sich setzte. Er musste sich um sie bemühen, sie erwartete ein Zeichen, und wenn es nur eine Schachtel Pralinen oder ein Rosenstrauß war. Maria hätte glücklich sein können, aber es gab einen Punkt, den sie nicht länger übersehen konnte: Wenn sie das Gespräch auf ihre Zukunft brachte, wich er aus, und seinen Eltern, die er regelmäßig besuchte, stellte er sie nicht vor. Die drei Worte «Ich liebe dich» hatte sie aus seinem Munde noch nie gehört.
Erst war es ein vages Gefühl, das kam und verging, wie ein Ziehen in den Gliedern vor dem Wetterumschwung. Dann überkam es sie immer häufiger und breitete sich in ihrem Körper aus bis in die Fingerspitzen. Sie wollte ein Kind. Wenn sie mit Franz zusammen war, konnte sie an nichts anderes denken. «Was ist los mitdir?», fragte er. Sie stotterte, fand nicht die richtigen Worte. Er ahnte, was sie sich nicht auszusprechen traute, und stellte klar: «Nein! Das nicht! Ich will, dass alles so bleibt, wie es ist.»
Maria spürte einen Stich. «Nein, das nicht!» Ihr war zum Heulen zumute, aber vor Franz vergoss sie keine Träne, dazu war sie zu stolz. Einen grau sich hinschleppenden Samstag und einen endlosen, verregneten Sonntag verbrachte sie zum ersten Mal seit Langem in ihrer eigenen Wohnung. Bilder, die sie nicht abwehren konnte, versetzten sie zurück in ihre Kindheit. Sie wurde wieder «Mädi», die Kleine, die in den Arm genommen werden wollte. Aber sie war allein, das Laken unter ihr war nass, sie musste sich schämen, weil sie noch am Daumen lutschte, weil sie die Mutter angelogen hatte, Ursula hatte sie ertappt: «Du lügst! Du bist nicht meine Schwester!» Im Kamin flackerte das Feuer, ihre Wangen glühten. «Dein Vater ist ein Verbrecher, ein Verbrecher, ein Verbrecher!» Susi flog durch die Luft, ihr Kleidchen stand in Flammen, Susi verbrannte, sie stand dabei, sah, wie der Kopf auseinanderbrach, und konnte ihr nicht helfen. Der Rauch trieb ihr Tränen in die Augen.
Maria fühlte sich ungeliebt, verschmäht und ausgenutzt. Sie schwankte zwischen Wut, Sehnsucht und Enttäuschung.
Nur langsam wurde ihr Kopf wieder klar: Von ihrer Ärztin ließ sie sich die Pille verschreiben. Sie zeigte Franz eines der rosa Kügelchen: «Schau her, du brauchst nicht mehr aufzupassen.» Hinter seinem Rücken brach sie jeden Tag eine aus der Packung und warf sie ins Klo. Die Wochenenden nahmen ihren Lauf, alles schien ganz wie früher zu sein. Wieder verbrachten sie viel Zeit im Bett, Franz bemühte sich, es ihr rechtzumachen, sie hielt ihn fest. Aber schwanger wurde Maria nicht.
***
Franz hatte einen jüngeren Bruder, Axel. Franz war der Geschäftstüchtige, er sollte die Firma erben. Axel ging auf eine Fachhochschule, sein Vater ließ ihm die freie Wahl: Tierarzt oder Apotheker, Wirtschaftsprüfer oder Vermessungsingenieur, er musste sich nur entscheiden. Wenn er beim Start Geld benötigte, würde ihm die Mutter helfen, dann musste er selber sehen, dass er es zu etwas brachte.
Zu dritt gingen sie auf einen Karnevalsball. Franz als Torero, Axel hatte sich ein Clownsgesicht geschminkt. Maria trug ein selbst geschneidertes Phantasiekostüm mit weitem Dekolleté und einem gebauschten Rock, der ihre etwas zu breiten Hüften vorteilhaft kaschierte. Die blonden Haare hatte sie so fest zu Zöpfen geflochten, dass sie wie Fühler von ihrem Kopf abstanden. Sie tanzte mit Franz. Axel saß auf einer Empore und schaute zu.
In den Pausen tranken sie Bier, zwischendurch auch Schnaps. Franz kam in Stimmung: Er umarmte tatsächliche und vermeintliche Freunde und küsste deren Frauen. «Nichts für ungut!» – Dann tanzten sie wieder, Maria spürte, dass er nicht mehr sicher auf den Beinen war. Die Musik wurde lauter, schneller. Franz schwitzte. Er rief etwas, das sie nicht verstehen konnte, löste sich von ihr, griff nach einer anderen Frau, hüpfte
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