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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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«abweichendes sexuelles Verhalten» hörte, wurde ihr zum ersten Mal die ganze Tragweite ihrer Entscheidung klar. Ihre Entscheidung hieß Ines. Abends im Zimmer sprachen sie über Liebe, Treue, Verantwortung.
    Der Kongress wurde ein Erfolg, da waren sich alle einig, bis auf eine radikal-feministische Gruppe, die vergebens zu einem Protestmarsch zum Sitz des Regierenden Bürgermeisters aufgerufen hatte. Zum Abschluss feierten die Frauen, stießen auf die große Sappho an, tauschten Adressen und Telefonnummern aus und verabredeten sich zu einem Treffen im nächsten Jahr, dann in Amsterdam. Es wurde spät.
    Nach Mitternacht, auf dem Heimweg zum Hotel, nahmen Ursula und Ines die Abkürzung durch einen Park. Hinter sich hörten sie Schritte, jemand folgte ihnen. «Ganz ruhig bleiben!», flüsterte Ines. Da, ein Knall! Sie rannten los in panischem Schrecken. So war Ursula schon einmal gerannt. Noch ein letztes Stück durch die Dunkelheit. Dann waren sie auf der Hauptstraße und verschwanden in einer Gruppe von Jugendlichen.

13. Kapitel
    Das «Vier Jahreszeiten» war unter den Hotels der Stadt die erste Adresse. «Grand Hotel» stand in verschnörkelten Buchstaben auf den Rechnungen, die dem Gast in einer kleinen Schatztruhe überreicht wurden und deren Höhe den anspruchsvollen Titel rechtfertigte. Im Preis waren ein livrierter Boy an der Drehtür, ein roter Teppich im Foyer und ein Klavierspieler enthalten, der am Nachmittag mit volkstümlichen Walzern und am Abend mit einem Schlager-Potpourri für Stimmung sorgte. In einer Zeit, in der Herkunft oder ein dem Namen vorangestellter «Professor» kaum noch zählten und vor allem die Automarke zeigte, wer man war, konnte, wer im «Vier Jahreszeiten» wohnte, sich als Teil der Elite fühlen, die Lebensart und Geld in Einklang zu bringen in der Lage war. Stammgäste des Hotels nickten sich zu wie alte Bekannte.
    Manfred litt unter starken Stimmungsschwankungen. In schlechten Phasen suchte er bei seiner Mutter Unterschlupf und ließ zu, dass sie ihn wie den schwächlichen Buben behandelte, der er in ihren Augen immer geblieben war. An guten Tagen fuhr er im Taxi beim «Vier Jahreszeiten» vor, ließ sich die Wagentür öffnen, ging mit federnden Schritten über den roten Teppich, verschwand in der Toilette, wusch sich die Hände im roten Marmorbecken, zog den Mittelscheitel nach, grüßte den Concierge mit einem Kopfnicken und gab im Rausgehen dem Boy die fünfzig Pfennige, die er in der Toilette von dem Teller für Trinkgelder genommen hatte. Beim anschließenden Stadtbummel blieb er vor den Schaufenstern der teuersten Geschäfte stehen und war befreit von demGefühl, dass die Frauen ihn mit Missfallen taxierten. Gern betrat er einen Laden mit Herrenunterwäsche, ließ sich von einem leicht nach Moschus duftenden Verkäufer die neuesten Modelle zeigen, nahm einen Katalog mit und betrachtete zu Hause lang die breiten Schultern, die schmalen Hüften und die runden Hinterbacken der Models. Der Höhepunkt seines Rundgangs aber war ein Delikatessengeschäft. Vor den Auslagen zog er die Augenbrauen hoch, um sich den Anschein eines Kenners zu geben, betastete die exotischen Früchte, roch an Käsesorten, deren Namen er nicht aussprechen konnte und studierte mit besonderem Interesse die Etiketten der teuren Cognacflaschen – gefolgt von dem unauffälligen Schatten des Hausdetektivs.
    Einmal leistete er dem Nachtmanager in den öden Stunden zwischen zwei und fünf Uhr Gesellschaft. Sie kamen auf die steigende Kriminalität, auf Raubüberfälle, Einbrüche und Amokschützen zu sprechen, und, noch bevor der erste Gast geweckt werden musste, ins Geschäft. Manfred besorgte dem Nachtmanager eine Mauser im Lederetui und fünfzig Schuss Munition. Als Gegenleistung durfte er ein Jahr lang im Hotel übernachten, allerdings nicht in einem der im Stil des zweiten Barock ausgestatteten Zimmer, sondern in einer im Souterrain neben dem Wäscheaufzug gelegenen Kammer. Er erwachte auf einer durchgelegenen Matratze, putzte sich die Zähne über dem Ausguss, wusch sich dann aber die Hände im roten Marmorbecken und erlebte beim Durchqueren der Eingangshalle für einen Augenblick ein beglückendes Hochgefühl, als wäre er einer der oberen Zehntausend.
    Wenn Manfred sich im Spiegel betrachtete, hätte er heulen mögen. Alles an ihm war minderwertig. Man sah ihm an, dass er nichts hatte, nichts konnte, ein Nichts war. Aber in seinem Bett, im Dunkeln war er der Herr der Welten. An der Spitze eines

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