Der Maskensammler - Roman
alle Ansprüche abgegolten. «Bitte unterschreiben Sie hier unten links.» Schon an derGarderobe, sagte Herr Schwann: «Vielleicht interessiert es Sie zu hören, dass mein Sohn Franz sich verlobt hat.» – Kein Zweifel, die Schwarzhaarige.
Die Ärztin weigerte sich, das Kind abzutreiben. «Du bist kräftig, du schaffst das. Du wirst eine gute Mutter sein», sagte sie. Sie fragte nicht, warum Maria die Pille abgesetzt hatte, und auch nicht, wer der Vater war. Maria war nicht gewohnt, über Dinge zu sprechen, die sie angingen, aber da sie niemand anderen hatte, dem sie sich anvertrauen konnte, sagte sie zu der Ärztin: «Wenn er gewollt hätte, hätte ich ihn geheiratet und wäre ihm ein Leben lang treu gewesen. Eineinhalb Jahre war ich mit ihm zusammen, er hat sich bei mir geholt, was er brauchte, gegeben hat er mir wenig.» Seinen Namen nannte sie nicht und sagte auch nicht, dass sie ganz oft an den jüngeren Bruder dachte und die Nacht, die sie mit ihm verbracht hatte. Wenn das Kind ein Junge würde, wollte sie es Axel nennen.
Von Frau Meier wurde sie zum Chef gerufen. Herr Schäfer empfing Maria hinter dem Schreibtisch stehend. «Sie haben bei der Firma Schwann ein Frühjahrsskonto erwirkt. Sie haben zwar eigenmächtig gehandelt, aber dafür verdienen Sie Lob. Die Absprache wurde uns per Fernschreiben bestätigt. Aber da steht noch etwas anderes, das ich Ihnen vorlesen möchte: ‹Aus gegebenem Anlass bitten wir, die Zuständigkeit für unseren Geschäftsverkehr von Fräulein Weinzierl auf eine/n andere/n Mitarbeiter/in zu übertragen und uns künftig die wöchentlichen Zahlungen per Postanweisung zukommen zu lassen.› Wollen Sie mir erklären, was da vorgefallen ist?» – Es entstand eine Pause, endlich antwortete Maria: «Es handelt sich um eine rein persönliche Angelegenheit.» – «Rein persönlich. So, so!», sagte Herr Schäfer und schüttelte indigniert den Kopf.
Wie er da in seinem schlecht geschnittenen Anzug stand, sah sie ihn als das, was er war: ein schlechter Geschäftsmann, ein schlechterLiebhaber und ein schlechter Ehemann und Vater obendrein. Es war ihr unerklärlich, wie sie hatte zulassen können, was dieser Mensch mit ihr gemacht hatte. Sie kannte ihn: Wäre sie jetzt zu ihm gegangen und hätte ihm die Arme um den Hals gelegt, hätte er gesagt: «Aber nicht doch! Doch nicht jetzt! Das verlegen wir auf den Abend.» Es war erbärmlich.
Maria erschien auch an Tagen, an denen die Übelkeit ihr den Schweiß auf die Stirn trieb, pünktlich in der Firma Schäfer und erledigte ihre Arbeit mit der gewohnten Umsicht. Niemandem vertraute sie an, dass sie ein Kind erwartete. Sie lebte sparsam, widerstand dem Verlangen nach Süßigkeiten und zahlte jede entbehrliche Mark auf ein Sparkonto ein, denn obwohl sie bei den Kollegen beliebt war und von den Kunden geschätzt wurde, wusste sie, dass ihr Chef und einstiger Liebhaber ihr an dem Tag kündigen würde, an dem er von ihrer Schwangerschaft erfuhr. «So, so, Fräulein Weinzierl», würde er mit seinem indignierten Lächeln sagen, «da sind Sie also in anderen Umständen. Man sollte es nicht glauben! Als ledige Mutter kann ich Sie nicht weiter beschäftigen. Das ist mit meinen Prinzipien unvereinbar.»
***
Maria gestattete sich keine Träume. Mit einer Mischung aus Neugier und ungläubigem Staunen nahm sie die Veränderungen ihres Körpers wahr. Sie vermied es, an ihre Mutter zu denken. Die rächte sich, indem sie sie in qualvollen Träumen heimsuchte. Manchmal erinnerte sie sich wie aus weiter Ferne an ihre Geschwister. Ihre Namen lösten kein Gefühl in ihr aus. Sie hätte ihnen vielleicht Postkarten geschickt, ein Lebenszeichen, aber sie hatte weder die Adressen, noch hätte sie gewusst, was sie ihnen schreiben sollte. In ihrer Freizeit hielt sie ihre Wohnung in Ordnung, summte Lieder, um die Einsamkeit zu übertönen, und leistete sich als einzigen Luxusimmer einen Strauß Blumen, als könnte sie so ihrem Kind zeigen, dass sie sich auf seine Ankunft freute. Vor dem Einschlafen legte sie die Hände auf den Bauch, streichelte ihren Nabel und wartete darauf, in ihrem Inneren eine Bewegung zu spüren.
In der Wohnung gegenüber auf der anderen Straßenseite lebte eine Frau, die sich nicht die Mühe machte, die Vorhänge vor ihren Fenstern zuzuziehen. Absichtslos, aber wie gebannt, sah Maria ihr zu, sah, wie sie ihr Bett machte, den Tisch deckte, zum Staubsaugen das Radio ausstellte oder eine Stehlampe anknipste, um zu lesen. Es waren unauffällige,
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