Der Maskensammler - Roman
Schultern zu lehnen. Der Anblick war für Axel das Signal. Genervt von den Fragen seiner Tischdamen, die mehr oder weniger unverblümt alle darauf hinausliefen, ob er denn ewig Junggeselle bleiben wolle, und erschöpft von Bemerkungen, auf die er keine Antwort wusste, tat er etwas Unerhörtes: Er wünschte seinem Vater, der gerade die Wange seiner künftigen Schwiegertochter tätschelte, einen guten Abend, setzte sich in seinen Wagen und fuhr davon.
«Er hat auf Franz und seine Verlobte angestoßen, er hat seiner Schwester Marion im Namen aller nachträglich zum Geburtstag gratuliert, Mutter hat er mit keinem Wort erwähnt.» Maria sah ihn an und wartete. «Die Ehe war … sie war zerrüttet. Was sie auch tat, sie konnte es ihm nicht rechtmachen. Er wurde immer unbeherrschter, zum Schluss hat er sie auch vor anderen beschimpft. Sie war zu erschöpft, um sich zu wehren.» Er biss sich auf die Unterlippe. «Sie wollte sich von ihm trennen, aber eine Scheidung kam für ihn nicht infrage. Ja, und dann … Dann ist sie mit dem Auto verunglückt. Das war vor einem Jahr.» Er schluckte. «Heute, bei dem Essen, hat keiner von ihr gesprochen. Es war, als hätte es sie nie gegeben.»
Sie griff nach seiner Hand und wollte sie streicheln. Er aber sprang auf, stieß fast den Stuhl um, auf dem er gesessen hatte, fuhr sich in die Haare und schüttelte sich. «Axel!», sagte sie. Und noch einmal: «Axel! Setz dich wieder zu mir!» – Jetzt ließ er ihr seine Hand, sie sah, wie er sich beruhigt und wusste, dass er sie fragen würde: «Und was ist mit deinen Eltern?» – Die Antwort kam, als hätte sie sie vorbereitet: «Über meine Mutter mag ich nicht sprechen und wo mein Vater ist, weiß ich nicht.» – «Wir wollen versuchen, ihn zu finden.»
***
Es stellte sich heraus, dass Axel die Werkstatt kannte, in der Jean-François gearbeitet hatte, als er Katrin kennenlernte. Sie fuhren hin, fragten den Chef, der aber konnte sich an keinen Jean-François aus dem Elsass erinnern. Er rief den alten Luki, der schon Autos repariert hatte, als die noch Winker statt Blinker hatten. Der schlurfte zum Pin-Brett. Da hing neben Grüßen aus Rimini und von der Costa Brava eine verstaubte Karte aus dem «an Fachwerkhäusern reichen» Hunspach. Auf ihr teilte Jean-François seinen ehemaligen Kollegen mit, dass es ihm gut gehe und er Arbeit bei einer Speditionsfirma gefunden habe. Er wünschte allen viel Glück. «So, so», sagte der alte Luki. «Da sind Sie dem Jean-François seine Tochter.»
In dem Augenblick, in dem Maria bewusst wurde, dass dieser Mann mit seinen kurzen, kräftigen Armen, den wirren blonden Haaren, seinem immer zu einem breiten Lachen bereiten Mund und dem Geruch nach Achselschweiß ihr Vater war, waren Axel und sie bereits vierundzwanzig Stunden in Hunspach. Ihn zu finden war einfach gewesen. Im Gewerbegebiet der Stadt gab es nur eine Spedition. Der Pförtner ließ sie vor der Schranke stehen, wählte eine Nummer und fluchte. Beim zweiten Versuch brüllte er ins Telefon, als hätte er’s mit einem Schwerhörigen zu tun: «Jean-François, da ist wer für dich!»
Nach einer Weile, die Maria wie eine Ewigkeit erschien, kam ein Mann mit weit ausholenden Schritten auf sie zu. Das musste er sein, mein Gott, das war er. Ihr Herz klopfte. «Was gibt’s?» – Sein Mund lachte, aber seine Augen lachten nicht mit. Sie waren misstrauisch auf die beiden Fremden gerichtet. «Das ist Maria. Sie ist Ihre Tochter. Sie wollte ihren Vater kennenlernen. Sie hat Sie gesucht …» – Maria war erleichtert, dass Axel sprach. «… und gefunden», sagte Jean-François. Wieder lachte er, er schien nicht überrascht. «Ich hab jetzt keine Zeit. Ich muss raus, ich hab eine Lieferung.» Das Gitter der Schranke zwischen ihnen klirrte. «Morgen um vierzehn Uhr bin ich zurück. Dann können wir reden.» –Nach ein paar Schritten drehte er sich um: «Willst du Geld? Bist du deswegen gekommen? Ich sag dir schon jetzt: Geld kriegst du von mir nicht!» – Und wieder lachte er.
Maria hatte nicht erwartet, dass ihr Vater sie umarmen und im Überschwang an seine Brust drücken würde. Aber auf ein Zeichen freudiger Überraschung hatte sie gehofft, das schon. Mit weniger Herzklopfen fuhr sie am nächsten Tag zur Verabredung. «Wie kommt er darauf, dass ich Geld von ihm haben wollte?» – Axel zuckte die Achseln. Sie saßen in der Kantine der Speditionsfirma. Jean-François kam mit einem Waschbeutel unterm Arm, die Haare noch feucht; er war frisch
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