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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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erst recht nicht in einem Wirtshaus begegnet. «Das abstoßende Geschäft mit der Zubereitung zerstückelter Tierleichen», hatte er einmal gesagt. Noch unsicher, ob er es wirklich war, hatte sie seinen Namen genannt. Erst als er aufblickte und sagte: «Zwölf Mark achtzig. So viel wie ein Taschenbuch», hatte sie ihn mit «Vater» angesprochen. Er trug wie eh und je den sandfarbenen Cordanzug, er war lange nicht beim Friseur gewesen, war wie immer unrasiert, und doch hatte sich etwas verändert. War es die vorgebeugte Haltung, die ihn gealtert erscheinen ließ? Oder der befremdliche Ausdruck seines Gesichts? Es wirkte wie aus zwei Hälften zusammengesetzt, die nicht mehr zueinander passten. Ein Zittern seiner Wimpern, ein unstetes Flackern seiner Augen hielten sie davon ab, ihn zu umarmen, als er sich erhob und: «Ich habe ihr vierzehn Mark gegeben» sagte.
    ***
    Vorbei am Schloss gingen sie in den Tierpark. «Etwas frische Luft wird mir gut tun», sagte Bernhard. Ursula fiel auf, dass er das eine Bein ein wenig nachzog. Sie wollte ihn stützen, aber er wehrte ab: «Lass nur! Das wird schon wieder. Ich bewege mich zu wenig.» Unter einer Trauerweide setzten sie sich auf eine Bank mit Blick über den künstlichen See. Nach kurzem Zögern nahm Ursula seine Hand und war erstaunt, wie kalt sie war. In der Mitte des graugrünen Wassers schoss ein schlanker Strahl in die Höhe, verlor plötzlich an Kraft, wippte, teilte sich und fiel klatschend auf die rundum gekräuselte Fläche zurück. Ein Windstoß blies ab und zu Wasserstaub bis unter die Zweige der Weide. Sie bildeten eine Kuppel, sie waren wie ein Dach, unter dem man sich geborgen fühlen konnte. Bernhard horchte auf das Schwappen der Wellen,verfolgte mit den Augen ein Entenpärchen, das eilig ans gegenüberliegende Ufer schwamm, und dachte: «So einfach! So einfach ist Frieden!»
    Er wischte sich den Wasserstaub aus den Augen und fragte: «Was machst du hier?» Das klang schroff, was er nicht beabsichtigt hatte. Es kostete ihn Kraft, sich über die Begegnung mit seiner Tochter zu freuen. Er hatte sie vermisst, aber sagen konnte er ihr das nicht. «Ich besuche Katrin. Sie liegt im Krankenhaus.» – Bernhard hatte noch immer das Entenpärchen im Blick. Er sah, wie von links Flügel schlagend und mit vorgestrecktem Hals ein Schwan ins Bild kam, der die Enten verscheuchte. Nach erfolgreicher Verteidigung des Futterplatzes reckte er sich und plusterte sein Gefieder. «Was ist mit ihr? Was hat sie?», fragte Bernhard. «Mir wurde gesagt, sie hat eine Leberzirrhose in fortgeschrittenem Zustand. Genaueres erfahre ich in der Klinik.» Fast flüsternd, als gäbe sie ein Geheimnis preis, fügte sie hinzu, die Ursache wäre wohl Alkoholmissbrauch. Leberzirrhose, Alkoholmissbrauch! Er hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Da war wieder dieses flaue Gefühl, es breitete sich aus bis in die Herzgegend. Plötzlich sah er das verzerrte Gesicht des Mannes mit der Platzwunde auf der Stirn vor sich. Blut lief ihm rechts und links der Nase entlang, tropfte auf seine Schultern und versickerte zwischen den Medaillen auf seiner Brust. Da hörte er, wie Ursula sagte: «Ich bin von der Polizei verständigt worden. Im ersten Semester habe ich an einer Studentendemonstration teilgenommen. Seitdem gibt es eine Polizeiakte von mir mit Namen und Anschrift.» – «Eine Polizeiakte? Bist du vorbestraft?» – «Nein, nein! Nur wenn ich umziehe, muss ich die neue Adresse melden. Nichts Besonderes. Ein Jahr noch, dann wird die Akte geschlossen.»
    Er wusste, dass er noch etwas fragen wollte, aber er hatte den Faden verloren und konnte sich nicht mehr erinnern, was es war. «Ist alles in Ordnung?» Ursula sah ihn an: «Du siehst blass aus.» – Erwar erschöpft, er wäre am liebsten aufgestanden, aber Ursula hielt ihn fest: «Was ich noch sagen wollte: Ich studiere Medizin und werde am Ende des nächsten Semesters meine Prüfung in Gynäkologie ablegen. Ich will Frauenärztin werden.» Seine Tochter, eine Ärztin, der Gedanke gefiel ihm. Jetzt hätte er gerne ihre Hand ergriffen, aber in dem Augenblick ballte sie sie zu einer Faust: «Und noch etwas, das du wissen sollst: Ich … Ich bin lesbisch. Ich lebe mit einer Frau zusammen.» – Déwi Galuh Candra Kirana. Sie war die Göttin der gleichgeschlechtlichen Liebe. Ihre Maske hing über seinem Schreibtisch an der Wand. Er würde ihr von seiner Tochter erzählen. Das Wort «lesbisch» würde er vermeiden. Er würde Ursulas Neigung umschreiben.

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