Der Matarese-Bund
in der Hölle hinter sich lassen. Unter mir war Tod, über mir war Tod und ich betete zum allmächtigen Gott, auch mich zu nehmen. Aber ich konnte nicht aufschreien, denn obwohl ich sterben wollte, hatte ich Angst vor dem Schmerz des Todes. Die unsichtbare Hand hielt mich an der Kehle. Aber mir wurde Barmherzigkeit zuteil. Ich wurde bewußtlos; wie lange weiß ich nicht, aber ich glaube, es war eine sehr lange Zeit.
Ich erwachte; die Wagen waren zum Stillstand gekommen, und ich spähte durch die Leichen und die Fugen an den Seiten hinaus. Der Mond schien, und wir waren weit oben in den bewaldeten Hügeln, aber nicht in den Bergen. Nichts war mir vertraut. Wir waren weit, weit von der Villa Matarese entfernt, aber wo, das hätte ich Ihnen damals nicht sagen können und kann es auch heute nicht.
Der letzte Akt des Alptraums begann. Unsere Körper wurden von den Wagen gezerrt und in ein gemeinsames Grab geworfen.
Zwei Männer hielten eine jede Leiche so, daß sie sie ganz weit schleudern konnten. Ich spürte tiefen Schmerz und grub die Zähne in die Finger, um meinen Verstand daran zu hindern, in die Regionen des Wahnsinns hinüberzuziehen. Ich schlug die Augen auf; wieder mußte ich mich fast übergeben bei dem, was ich sah: Rings um mich tote Gesichter, schlaffe Arme, gähnende Münder. Blutende, verstümmelte Kadaver, die noch vor Stunden menschliche Geschöpfe gewesen waren. Das Grab war riesengroß, breit und tief.
Jenseits konnte ich die Stimmen unserer Totengräber hören. Einige weinten, andere flehten Christus um Gnade an. Einige verlangten, daß man den Toten die heiligen Sakramente spendete und um ihrer Seligkeit willen einen Priester an den Ort des Todes holte. Aber andere Männer verweigerten dies; sie seien nicht die Mörder, man habe sie nur auserwählt, um die Toten zur Ruhe zu betten. Gott würde das verstehen.
»Basta!« sagten sie. Es war unmöglich. Das war der Preis, den sie zum Nutzen der künftigen Generationen bezahlten. Die Hügel gehörten ihnen; die Felder, die Bäche und die Wälder! Es gab jetzt kein Zurück. Sie hatten ihren Pakt mit dem Padrone geschlossen, und er hatte es den Dorfältesten klargemacht: Nur wenn die Regierung erfuhr, daß eine Cospirazione stattgefunden hatte, könnte sie ihnen das Land wieder wegnehmen. Der Padrone war der klügste aller Menschen, er kannte die Gerichte und die Gesetze; seine unwissenden Wächter kannten sie nicht. Sie mußten genau das tun, was er den Dorfältesten befohlen hatte, sonst würden die Gerichte ihnen das Land wieder wegnehmen.
Es durften keine Priester aus Porto Vecchio oder Sainte-Lucie oder sonstwoher kommen. Das Risiko, daß man jenseits der Hügel von dem hörte, was hier geschehen war, war zu groß. Wer anders dachte, konnte sich den Toten anschließen; ihr Geheimnis durfte nie die Hügel verlassen. Das Land war das ihre!
Das genügte. Die Männer verstummten, hoben ihre Schaufeln auf und begannen Erde über die Körper zu werfen. Ich dachte damals, daß ich ganz bestimmt unter der Erde ersticken würde. Und doch glaube ich, daß wir alle, wenn der Tod seine Hand nach uns ausstreckt, Mittel und Wege finden, seinem Griff zu entkommen, Mittel und Wege, die wir uns nie erträumen.
Während eine Schicht Erde nach der anderen das kreisförmige Grab füllte und festgestampft wurde, bewegte ich meine Hand in der Finsternis, schob die Erde über mir weg, damit ich atmen konnte. Am Ende hatte ich nur ein ganz kleines Luftloch, aber es reichte für Gottes Luft, um hereinzukommen. Die unsichtbare Hand hatte die meine gelenkt und ich lebte.
Es vergingen, glaube ich, Stunden, bis ich begann, mir den Weg an die Oberfläche freizugraben, ein… blindes… unwissendes Tier, das das Leben sucht. Als meine Hand nichts als kalte, feuchte Luft fühlte, weinte ich unkontrolliert und geriet in Panik, voller Angst, jemand könnte mein Weinen hören.
Gott war barmherzig; das Grab war verlassen. Ich kroch aus der Erde und verließ jenen Wald des Todes, betrat ein Feld und sah, wie die Morgensonne über den Bergen aufging. Ich lebte, aber für mich gab es kein Leben. Ich konnte nicht in die Hügel zurückkehren, denn ich würde ganz sicherlich getötet werden. Doch es war für eine junge Frau auf dieser Insel nicht möglich, anderswohin zu gehen, an irgendeinen fremden Ort, und einfach zu leben. Es gab niemand, an den ich mich wenden konnte, nachdem ich drei Jahre als bereitwillige Gefangene meines Padrones verbracht hatte. Aber ich konnte nicht
Weitere Kostenlose Bücher