Der Matarese-Bund
Außerdem war sie in ihrer Arbeit höchst effizient; wer würde sie schon während jener Krisenzeiten ersetzen können? Lodzia war eine führende Mathematikerin; sie hatte sich an der Universität von Moskau habilitiert und war am Lenin-Institut ausgebildet worden. Sie gehörte zu den erfahrensten Computerspezialistinnen dieses Tätigkeitsbereichs.
Also behielt sie ihren Posten und empfing die gebührenden Warnungen hinsichtlich der Verantwortung, die sie dem Staat gegenüber trug, der ihre Ausbildung ermöglicht hatte. Man versetzte sie in die Nachtschicht der Computerabteilung, KGB Leningrad, Ligovsky Prospekt. Das lag fünf Jahre zurück; sie würde mindestens noch weitere zwei Jahre dort bleiben.
Lodzias »Verbrechen« hätten als fachliche Fehler abgetan werden können – eine Reihe belangloser mathematischer Abweichungen –, wäre nicht zweitausend Kilometer entfernt in Wien etwas geschehen. Ihr Bruder war ein höherer Offizier in der Luftverteidigung gewesen und hatte Selbstmord begangen. Die Gründe seiner Tat blieben unaufgeklärt. Dennoch waren die Luftverteidigungspläne für die ganze südwestliche deutsche Grenze geändert worden. Und Lodzia Kronescha war zum Verhör gerufen worden.
Taleniekov war zugegen gewesen, die stille Akademikerin unter den Lampen des KGB hatte ihn interessiert. Ihre langsamen, überlegten Antworten, die ebenso überzeugend wie frei von Panik waren, hatten ihn fasziniert. Sie hatte bereitwillig zugegeben, daß sie ihren Bruder anbetete und daß sein Tod und dessen Art sie bis zur Grenze des Nervenzusammenbruches quälten. Nein, sie hatte von keinen Unregelmäßigkeiten in seinem Leben gewußt; ja, er war ein überzeugtes Mitglied der Partei gewesen; nein, sie hatte seine Briefe nicht aufgehoben; es war ihr nie in den Sinn gekommen, das zu tun.
Taleniekov hatte sich ruhig verhalten. Er wußte instinktiv, daß sie gelogen hatte. Von Anfang an. Aber ihre Lügen wurzelten nicht in Verrat, dienten nicht einmal ihrem eigenen Überleben. Es war etwas anderes. Als die Dauerüberwachung durch den KGB eingestellt wurde, war er aus dem nahen Riga häufig nach Leningrad geflogen, um sie selbst zu beobachten.
Dort hatte Wassili das herausgefunden, was er geahnt hatte. Äußerst geschickt arrangierte Kontakte in den Parks des Petrodvorets mit einem amerikanischen Agenten, der von Helsinki aus operierte. Sie hatte diese Begegnungen nicht gesucht, sie waren ihr aufgezwungen worden.
Eines Abends war er ihr in die Wohnung gefolgt und hatte sie mit seinen Beweisen konfrontiert. Sein Instinkt hatte ihm geraten, keine offiziellen Schritte einzuleiten. In dem, was sie getan hatte, war kein Verrat.
»Was ich getan habe, ist belanglos!.« hatte sie geschrien, und Tränen der Erschöpfung waren in ihren Augen gestanden. »Es ist nichts, verglichen mit dem, was die wollen! Aber die haben Beweise, daß ich etwas tue; sie werden das nicht tun, womit sie mich bedroht haben!«
Der Amerikaner hatte ihr Fotografien gezeigt, Dutzende von Fotografien, hauptsächlich von ihrem Bruder, aber auch von anderen Sowjetbeamten der oberen Ränge in Wien. Sie hatten scheußliche Obszönitäten gezeigt, extremes sexuelles Verhalten – Männer mit Frauen und Männer mit Männern – alle aufgenommen, während die betreffenden Personen betrunken waren. Sämtliche Fotos zeigten ein Wien von äußerster Verkommenheit, in dem verantwortliche sowjetische Persönlichkeiten sich bereitwillig korrumpieren ließen.
Die Drohung war ganz einfach: Diese Fotografien würden in der Welt verbreitet werden. Ihr Bruder – und auch seine Vorgesetzten – würden der allgemeinen Lächerlichkeit preisgegeben werden. Ebenso wie die Sowjetunion.
»Und was glaubten Sie, durch Ihr Tun erreichen zu können?« hatte er gefragt.
»Sie zermürben!« hatte sie geantwortet. »Sie werden mich beobachten, nie wissen, was ich tun werde, tun kann… getan habe. Hin und wieder werden sie von Computerfehlern erfahren. Belanglose Fehler, aber das genügt. Sie werden ihre Drohungen nicht verwirklichen.«
»Es gibt eine bessere Methode«, hatte er vorgeschlagen. »Ich glaube, Sie sollten das wirklich mir überlassen. Es gibt da einen Mann in Washington, der sein Feuer schon in Südostasien verbraucht hat, einen General namens Blackburn. Anthony Blackburn.«
Wassili war nach Riga zurückgekehrt und hatte über seine Gewährsleute in London eine Nachricht gesandt. Washington erhielt die Information binnen weniger Stunden. Sofern die amerikanische
Weitere Kostenlose Bücher