Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
der Erdoberfläche aber nicht völlig. Ihr bleibender Einfluss hat sich im Kalender niedergeschlagen, denn den»Herren der Nacht«, den Göttern der Unterwelt, wurde ein eigener Zyklus zugeordnet, der neun Tage umfasst und auf den Stelen der klassischen Periode mit dem Langzeitdatum angegeben wird. Jede Nacht wird von einem der neun Herren von Xibalba beherrscht; sie sind weiterhin fester Bestandteil der Zeit. Aber der Kalender dient ja nicht zuletzt dazu, Unheil und Ungemach vorherzusehen, um es mit Opferritualen abzuwenden oder wenigstens abzumildern.
Die Entstehung von Schöpfungsmythen kann man sich als fantasievolle, auf uns naiv wirkende Deutung der Welt erklären – auf ein menschliches Grundbedürfnis hin, das die Fähigkeit zu denken mit sich bringt. Heute erfüllen an erster Stelle die Wissenschaften diese Funktion, vor Jahrtausenden stellten an geselligen Abenden die Schamanen unterhaltsame Überlegungen an, wie es sich mit dem Leben, den Sternen und der Zeit verhalten könnte. Schamanen waren die besonders befähigten und geachteten Mitglieder einer größeren, sich allmählich spezialisierenden Gemeinschaft, die einige ihrer Mitglieder für besondere Beschäftigungen freistellen konnte. Schamanen befanden sich vermutlich bereits unter den Vorfahren der Maya und ihrer Nachbarvölker, als sie von Asien über die damalige Landverbindung nach Alaska kamen und den amerikanischen Doppelkontinent in Besitz nahmen. Mit ihrem Spezialwissen über wiederkehrende Naturzyklen leisteten sie später, im Zuge der Sesshaftwerdung, wertvolle Dienste. Um praktische Ratschläge geben zu können und Zeitpunkte für rituelle Handlungen zu bestimmen, benötigten die Schamanen eine Zeitordnung, die über die beständige Wiederkehr von Tag und Nacht hinausging. Auf sie gehen daher möglicherweise die Anfänge des Kalenders der Maya zurück, des Tzolk’in genannten Ritualkalenders.
Ein solcher Schamane durfte sich einiger Aufmerksamkeit sichersein, wenn er die Abenteuer der fantastischen Zwei zum Besten gab – und außer den Details der Geschichte auch die Erzählkunst beherrschte. Für die Zuhörer war es wohl ein ähnlicher Trost angesichts des eigenen unausweichlichen Todes wie die christliche Botschaft von Tod und Auferstehung Jesu. Marx bezeichnete Religion als »Seufzer der bedrängten Kreatur« und »Opium des Volkes«; aus heutiger Sicht würde eine Marketingfachfrau die tröstlichen Erklärungen über das Rätsel der Welt vermutlich »ein klassisches Feel-good-Produkt« nennen.
Das Pantheon der Maya ist reich bevölkert, und die Vielfalt und Lebendigkeit ihres Götterhimmels erinnert an die Götterwelt der alten Griechen. Allerdings bestehen hinsichtlich der Ausformung erhebliche Unterschiede sowohl zwischen den verschiedenen Maya-Völkern als auch im Laufe ihrer Geschichte – so haben die Gottheiten unterschiedliche Namen und Erscheinungsformen, sind manche Götter einer Region anderswo nicht nachweisbar, andere verschwinden durch die Jahrhunderte oder verändern ihren Charakter oder ihre Bedeutung. Hinzu kommen äußere Einflüsse, die sich auf religiöse Aspekte auswirkten, sei es durch die beherrschende Macht Teotihuacáns oder den späteren Einfluss der Azteken Zentralmexikos. In der Spätphase der Maya-Geschichte in den letzten Jahrhunderten vor der spanischen Eroberung beispielsweise erlangte der Gott Kukulkan bzw. Gukumatz bei den Maya einige Bedeutung – es handelt sich um den berühmten Aztekengott Quetzalcoatl, der in der Maya-Klassik noch gar keine Rolle spielte. Von einer klar definierbaren Götterwelt der Maya kann insgesamt also nicht die Rede sein, schon gar nicht in der westlichen Vorstellung wohlgeordneter religiöser Verhältnisse. Sich durch die Jahrhunderte im Maya-Pantheon zurechtzufinden, ist daher keine leichte Aufgabe. Trotzdem gilt: In der Vielfalt der Maya-Welt in Hochland und Tiefland und durch die Jahrhunderte gibt es einen Korpus kultureller Gemeinsamkeiten, der auch in denreligiösen Vorstellungen nachzuvollziehen ist. Ein gutes Götterdutzend hat sich über die Zeit einigermaßen halten können.
Viele Gottheiten vertreten Aspekte der Natur, allen voran der besonders wichtige Regengott Chaak, von dessen Gnade abhing, ob die Felder sprossen und reiche Ernte brachten oder eine Dürre die Furcht vor Hunger nährte. Andere sind in ihrem Aufgabenbereich eher den katholischen Schutzpatronen zuzuordnen, so der Gott der Schreiber oder der der Kaufleute. Große Bedeutung kommt vor allem
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