Der Medicus von Heidelberg
hinlegen«, murmelte er heiser.
»Später«, sagte ich. »Erst muss ich Euer Bett neu beziehen. Wo finde ich frisches Leinen und frische Wäsche?«
Er sagte es mir. Ich musste zweimal nachfragen, bis ich ihn verstand, so leise sprach er. Ich verließ den Raum und machte mich auf die Suche. Mit einiger Mühe fand ich das Gewünschte. Auf dem Rückweg ging ich nochmals in den Behandlungsraum, wo ich die Utensilien für einen Aderlass sowie eine weitere Schüssel mitnahm. Dabei entdeckte ich in einem Eckschrank eine Maske, eine Art Kopfteil von seltsamem Äußeren mit zwei Augenlöchern und einem schnabelartigen Fortsatz, der in seiner Form an eine Rabenkrähe erinnerte. In dem Fortsatz steckte ein Knäuel aus den verschiedensten Kräutern.
Wie gebannt starrte ich auf das lederne Gebilde, bereits ahnend, dass es die Maske einer Schutzbekleidung gegen die Pest war, denn unter der Maske hing ein knöchellanger Mantel, ebenfalls aus Leder, in dessen Taschen zwei derbe Fausthandschuhe steckten. Darunter stand ein Paar Stiefel. Das Eigentümlichste an der Ausrüstung aber war der Stock, der neben den Stiefeln lehnte. Wozu brauchte ein Pestarzt einen Stock? Ich wusste es nicht. Ich konnte mich mit der Frage auch nicht länger beschäftigen, ich musste zu de Berka zurück.
»Habt Ihr schon einmal als Pestarzt gearbeitet?«, fragte ich ihn, als ich das Krankenzimmer betrat.
»Das … liegt lange zurück.«
Ich gab mich mit der Antwort zufrieden, obwohl mir eine Reihe von Fragen auf der Zunge lagen, auch die nach der Bewandtnis des Stocks. Doch ich wollte die Kräfte meines Patienten schonen, deshalb sagte ich nur: »Ich werde Euch jetzt Blut abnehmen. ›Der Aderlass ist ein probates Mittel bei jedweder Erkrankung‹, wie Ihr mir selbst beigebracht habt.«
»Nein, lasst doch …«
Ich ging nicht weiter auf ihn ein, sondern machte alles so, wie angekündigt. Als ich die Schüssel bereitstellte, um das Blut aufzufangen, und den Schnäpper spannte, flüsterte er: »Nehmt nicht viel, bitte, ich … ich bin so schwach.«
»Verlasst Euch auf mich.« Ich hatte mir ohnehin vorgenommen, die Menge zu begrenzen, denn de Berka gehörte nicht zu den Patienten, die unter Blutreichtum litten. Außerdem hatte er uns Studenten mehrfach eingebläut, ja darauf zu achten, dass beim Aderlass nicht gleich »das ganze Leben« mit auslaufe.
Ich löste den Schnäpper, der mit einem dumpfen Laut in die Vene schlug. Ein dünnes Rinnsal Blut trat hervor, das im Bogen in die Schüssel floss. Um ihn von der Prozedur abzulenken, fragte ich ihn nach seiner Familie, denn über sie hatte er nie zuvor gesprochen. Er antwortete mit schwacher Stimme, er sei schon seit langen Jahren Witwer, seine Kinder, neun an der Zahl, seien gestorben oder in alle Winde zerstreut. Er lebe nur mit der Köchin, der Magd und dem Gärtner zusammen. Alle habe er fortgeschickt, sowie die Krankheit ausgebrochen sei.
»Wusstet Ihr von Beginn an, dass es sich um die Pest handelt?«, fragte ich.
Er nickte schwach. »Ja, sicher. Ich selbst habe den Schwarzen Tod oft genug bekämpft … vergebens, vergebens.«
Ich fragte nicht, wo das geschehen war, es konnte überall gewesen sein, denn nach der großen Pestwelle, die ab dem Jahre 1348 über ganz Europa hinwegbrandete, war kein Jahrzehnt vergangen, in dem die Seuche nicht irgendwo wieder zugeschlagen hatte. Ich unterbrach den Aderlass und drückte eine Kompresse auf die Einstichstelle, bis ich glaubte, die Blutung würde stehen. Dann wickelte ich einen Leinenstreifen darum.
Nachdem ich das Bett neu bezogen hatte, sagte ich: »Zeit, die Leibwäsche zu wechseln und sich wieder hinzulegen. Könnt Ihr allein aufstehen?«
Wie sich zeigte, war de Berka dazu nicht in der Lage, so dass ich den schweren Mann wieder tragen musste. Es war erschreckend, mit ansehen zu müssen, wie schnell die Pest einen kräftigen Mann zu einem hilflosen Häuflein Mensch machte. Kaum hatte ich ihn zugedeckt, schlief er schon ein. Sein Schlummer war unruhig, sein Körper zuckte immer wieder, vielleicht hatte er schlechte Träume, vielleicht wollte er die Krankheit im Schlaf abschütteln, ich wusste es nicht. Ich blieb an die zwei Stunden bei ihm, bis die Dunkelheit einsetzte.
Als sie vollends hereingebrochen war, baute ich mir eine notdürftige Schlafstatt aus zwei gegenüberstehenden Stühlen. Ich wollte dem Kranken nah sein für den Fall, dass er mich brauchte. Um mich herum hörte ich die Geräusche der Nacht, unbekanntes Rascheln, Knistern,
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