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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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lehnte sich zurück und schloss die Augen.
    Ich verließ ihn und trat meinen Kontrollgang an. Wie immer boten die Kranken ein Bild des Jammers, doch sie waren wenigstens mit dem Nötigsten versorgt. Ich sagte hier und da ein aufmunterndes Wort, wünschte eine gute Nacht und ging dann zu der kleinen Kammer neben dem Behandlungsraum, in der Lilott seit einigen Tagen allein lag. Ich hatte sie dort einquartieren lassen, weil ich befürchtete, sie würde sich in der Eingangshalle mit der wahren Pest anstecken.
    Behutsam öffnete ich die Tür. Im Raum herrschte Dunkelheit, was ungewöhnlich war, denn Lilott schlief gern bei Kerzenschein ein und überließ es mir, das Licht zu löschen. »Lilott?«, flüsterte ich. »Schläfst du schon?«
    Sie antwortete nicht, doch ich hörte sie atmen. Das beunruhigte mich. »Warte«, sagte ich, »ich bin gleich zurück.«
    Ich nahm eines der Öllämpchen aus der Eingangshalle und entzündete mit der Flamme einen Leuchter. Dann betrat ich nochmals den Raum. »Lilott, ich höre dich atmen, warum sprichst du nicht …?«, fragte ich und verstummte.
    Sie lag da wie ein Engel. Das lange Haar umrahmte ihr Gesicht und glänzte golden im Schein der Kerzen. Sie lächelte. Und sie war vollkommen nackt.
    Ich muss ausgesehen haben wie ein Trottel, denn Lilott lachte unterdrückt und sagte: »Ich will mit Euch die Kranken pflegen, Herr, und Ihr habt es mir verboten. Aber ich kriege immer, was ich will.«
    »Höre mal, Lilott«, sagte ich, nachdem ich die Sprache wiedergefunden hatte, »ich bin dein Arzt, und du bist meine Patientin, und zwischen Arzt und Patientin darf es niemals …«
    »Ich bin nicht mehr Eure Patientin.« Lilotts Stimme klang fast ein wenig trotzig. »Ich bin wieder ganz gesund. Schaut nur, sämtliche Flecken sind weg.«
    »Die Flecken waren gestern bereits verschwunden.«
    »Ich will mit Euch die Kranken pflegen, ich will mit Euch zusammen sein. Ich will es so sehr, so sehr. Gleich, nachdem Ihr mich gerettet habt, wusste ich es.« Ihre Unterlippe begann zu zittern, und Tränen traten in ihre Augen. »Bitte … bitte stoßt mich nicht zurück.«
    Ich atmete tief durch. Für einen Augenblick war ich in Versuchung gewesen, nun gewann der Arzt in mir die Oberhand. »Ich glaube auch, dass du wieder gesund bist«, sagte ich so ruhig wie möglich und deckte sie zu. »Und weil das so ist, sollst du mir ab morgen bei der Pflege der Kranken helfen.«
    Ich dachte, damit hätte ich die Situation bereinigt, doch seltsamerweise weinte sie weiter, griff nach meiner Hand und versuchte, mich zu sich hinunterzuziehen.
    »Nein«, sagte ich fest, »du musst jetzt schlafen. Wenn du mir morgen helfen willst, wirst du alle Kraft brauchen. Gute Nacht.«
    Ich verließ den Raum in einem Widerstreit der Gefühle. Zum ersten Mal hatte ich erfahren, welch fleischliche Gefahren der Arztberuf mit sich bringen kann, und ich war froh, dass ich der Verlockung widerstanden hatte.
    Ich ging in den Behandlungsraum, holte die Aufzeichnungen, die ich
Observationes de peste laborantibus tempore pestilentiae Erphordia anno millesimo quingentesimo quinto
genannt hatte – also »Beobachtungen an Pestkranken anlässlich der Pest zu Erfurt anno 1505 « –, und trug sie in de Berkas Krankenzimmer. Er schlief jedoch schon, weshalb ich sie erst einmal auf das Rosenholztischchen legte und mich ebenfalls zur Ruhe begab. Ich bettete mich wie immer zwischen meine zwei Stühle, und Schnapp rollte sich neben mir zusammen.
    Mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen galt Lilott. Ich hoffte, sie würde sich am nächsten Tag so benehmen, als hätte die heikle Begegnung zwischen uns nie stattgefunden.
    Aber sicher war ich mir dessen nicht.
     
    Wie sich zeigte, war meine Befürchtung unbegründet. Lilott erschien frühmorgens in der Eingangshalle, ihren Kittel und eine züchtige Haube tragend, und fragte mich wie selbstverständlich, wobei sie mir helfen könne.
    »Lass mich überlegen«, sagte ich ein wenig befangen. »Du könntest Hinz behilflich sein. Er ist auf dem Hof und wäscht an der Pumpe die Verbände aus.«
    Lilott wollte antworten, doch Muhme Lenchen war mittlerweile herangeschlurft und kam ihr zuvor: »Schön, dass du wieder gesund bist, Kind. Heute ist Backtag. Der Teig muss kräftig durchgeknetet werden, bevor er zu Brot werden kann. Eine Arbeit für junge kräftige Hände, nichts für alte knotige Finger wie die meinen.« Und zu mir: »Ihr habt doch nichts dagegen, wenn Lilott mir hilft, Herr?«
    »Gewiss nicht«,

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